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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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zweitrangig. «
    Notgedrungen verließ Leo mit den beiden Schwestern die Kammer. Doch seine Besorgnis war so groß, dass er sich draußen sofort an die Infirmarin wandte.
    »Meint ihr nicht, dass ihr es mit dem Mangel ein wenig übertreibt?«, fragte er in strengem Ton. »Auch in unserem Kloster gibt es weder Reichtum noch Luxus. Wir leben bescheiden, genauso wie Franziskus es uns vorgemacht hat. Und doch essen wir ausreichend zweimal am Tag, und jeder Kranke hat Anspruch auf ein sauberes, warmes Lager, um schnell wieder gesund zu werden. Hier dagegen liegt die Äbtissin …«
    »Das alles ist ihr Wille«, fiel Suor Regula ihm ins Wort. »Sie sagt, Francesco erscheine ihr im Traum und lobe sie für ihre Standfestigkeit. Allein darum geht es ihr. Und nichts und niemand wird Madre Chiara jemals davon abbringen, das musst du wissen!«
    Suor Benedetta nickte, als hätte sie alles verstanden, und stieß dann einige leidenschaftliche Sätze hervor, die Regula übersetzte.
    »Auch wenn Benedetta einmal unsere Äbtissin ist, wird sich nichts daran ändern. Das hat sie Madre Chiara vor Gott versprochen. Doch damit sich keiner von außen einmischen und uns auf einen falschen Pfad führen kann, brauchen wir dieses Privileg der Armut auch schriftlich. Wirst du beim Heiligen Vater in Rom für uns sprechen, Fra Leo?«
    »Dazu weiß ich noch viel zu wenig«, wandte er ein und musste abermals an die Tote mit den rätselhaften Tintenfingern denken, von der keine der Schwestern in San Damiano mehr sprechen wollte. »Mein Bild von San
Damiano und eurem Leben hier ist noch lange nicht klar. Erst wenn es vollständig ist, kann ich meine Beurteilung abgeben.«
    »Parli così, perchè siamo donne?« Benedettas Stimme hatte plötzlich eine gewisse Schärfe.
    »Certamente no« , erwiderte Leo prompt, dann schaute er in die leicht geröteten Gesichter unter den strengen Hauben, die ihn anstarrten, als hänge ihr Leben von seiner Antwort ab.
    »Gewiss nicht«, hatte er gesagt, aber stimmte das wirklich? Verhielt es sich nicht doch ein wenig anders, wenn er ganz ehrlich mit sich selbst war? Hatte er nicht so gesprochen, weil sie Frauen waren, die nach einer eigenen Ordensregel strebten, was viele Kirchenmänner strikt ablehnten?
    Wie stand es denn mit ihm selbst? Plötzlich fühlte er sich schon viel zu tief in diesen Konflikt verwickelt, um noch objektiv urteilen zu können. Doch genau das erwartete Johannes von Parma von ihm.
    »Ich werde wiederkommen«, sagte er, »in der Hoffnung, Madre Chiara stabiler und um einiges frischer vorzufinden. Dann können wir ihr Anliegen in aller Ruhe besprechen. « Er zögerte, doch er musste es wenigstens versuchen: »Ich weiß, ihr lebt hier in strengster Klausur«, sagte er. »Und doch müsste ich dich um eine Ausnahme bitten, Suor Regula. Ich brauche dringend eine Dolmetscherin. Würdest du mir zur Seite stehen?«
    »Wozu?« In Regulas blanke Vogelaugen war ein noch wachsamerer Ausdruck gekommen.
    »Ich muss mit dem alten Eremiten sprechen, der oben in Eremo delle Carceri lebt …«
    »Niemals!« Sie spuckte beim Sprechen, so aufgeregt schien sie auf einmal. »Keine von uns darf das Kloster
verlassen. Bitte frag mich nie wieder danach!« Sie zupfte die andere Nonne am Ärmel, und die beiden eilten davon.

    Schon beim Verlassen des Konvents hatte Leo gewusst, dass er abermals zur Portiuncula-Kirche reiten würde. Etwas zog ihn wie magisch zu dem idyllischen Kirchlein, das gewissermaßen die Urzelle allen franziskanischen Lebens war. Auch Fidelis schien mit seiner Wahl mehr als zufrieden und trabte munter bergab, bis sie das Ziel erreicht hatten.
    Das Gotteshaus war leer, als er es betrat, nicht mehr ganz so sauber wie beim letzten Besuch, was ihm sogleich auffiel, doch zum Glück weit entfernt von dem beschämenden Zustand, in dem er es beim ersten Mal vorgefunden hatte. Abermals berührten seine Hände das τ an der Wand , das ihm heute allerdings dunkler und leuchtender vorkam, als hätte jemand inzwischen mit frischer Farbe nachgeholfen.
    »Steh mir bei, Franziskus!«, betete Leo halblaut. »Überall erkenne ich lediglich Schatten und Schemen, als hätte jemand einen Schleier über meine Augen gebreitet. Mach mich sehend, damit ich die richtigen Entscheidungen treffen kann!«
    Er hielt inne, weil sein Fuß an eine irdene Schale gestoßen war. Er bückte sich und hob sie auf. Die Bettelschale des Leprösen, der somit erneut hier gewesen sein musste.
    Aber was hatte dann das Stück alten Pergaments darin

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