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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Boden.
    »Du musst wissen, deine Mutter und ich …« Er verstummte und schien auf einmal die Fäden des bunt gewebten Wandteppichs einzeln zu zählen, der aus dem fernen Frankreich stammte und ihn ein mittleres Vermögen gekostet haben mochte.
    Stellas helle Augen suchten seinen Blick. Sollte sie ihn endlich all das fragen, was sie schon so lange bewegte? Wer sie war? Woher sie stammte? Wer sie geboren hatte? Wie ihre Eltern hießen?
    Der kostbare Moment verstrich ungenutzt.
    »Dann solltest du jetzt schlafen gehen, meine Kleine«, sagte Vasco. »Bräute müssen schön sein. Und dazu brauchen sie viel Schlaf. Gute Nacht, Stella!«
    »Gute Nacht, Papà!«, flüsterte sie.
    Die Lüge hing wie ein zähes Gespinst in der Luft und
machte jeden Atemzug zur Qual. Stella verließ das Zimmer gemessenen Schritts und begann erst zu rennen, als sie endlich auf der Treppe angelangt war.

    Leo fand keinen Schlaf, auch nicht, als der Mond schon längst verschwunden war und nur noch die Sterne am Nachthimmel funkelten. Er zupfte seine Kutte zurecht, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um vollständig wach zu werden, und schlich sich mit einem Öllicht in der Hand aus dem Haus.
    Nachts glich Assisi noch mehr einem Labyrinth aus Stein und Schatten, das ihn rasch und gründlich verwirrte. Alles, was ihm tagsüber bereits vertraut war, erschien nun fremd und merkwürdig. Eine dicke Ratte kreuzte seinen Weg, eine einäugige Katze schoss ihr hinterher, ohne ihrer habhaft zu werden, Nachtvögel machten mit seltsamen Geräuschen auf sich aufmerksam.
    So gut wie alle Häuser waren dunkel, nur in einem halb verfallenen Gebäude schimmerte noch Licht. Unwillkürlich steuerte Leo darauf dazu, bis ein dickes Lumpenbündel ihn am Weitergehen hinderte. Er hob seine Funzel, um nicht darüberzustolpern.
    Das waren keine Lumpen, wie er schnell bemerkte, vor allem, als sein Fuß mehrmals in den Haufen stieß. Das war etwas Weiches, was er berührte, ein lebloser Mensch!
    Leo schaute sich nach allen Seiten um, bevor er ihn umdrehte – und erstarrte. Auf dem Gesicht lag eine dicke Schicht Lehm, inzwischen verwischt und halb heruntergewaschen. Wie im Fieber suchte Leo weiter, ergriff die Hände des Toten, denn dass er einen Toten vor sich hatte,
bezweifelte er nicht länger. Ja, das waren die Hände, die er heute gesehen hatte.
    Sie gehörten dem Leprösen, der Auslöser seines Unfalls gewesen war!
    Leo zögerte, dann nahm er den Saum seiner Kutte und säuberte erst die Hände, schließlich das Gesicht des Unbekannten, jenes Mannes, den er zweimal vor der Kapelle des Heiligen getroffen hatte – nur dass dessen Haut und Hände in Wirklichkeit so rein und gesund waren wie die eines Neugeborenen.

Vier
    S ie alle hatten etwas zu verbergen. Nicht nur ein Eindruck, sondern inzwischen nahezu eine Gewissheit, die Leo immer gereizter machte, je mehr er zu hören bekam. Keine der frommen Schwestern, die ihm gegenübersaß und die er trotz der Einwände von Suor Benedetta einzeln nacheinander befragte, sagte die ganze Wahrheit. Seit Stunden, so kam es ihm vor, öffnete und schloss sich die Tür des düsteren Refektoriums, in dem er sich für seine Befragungen niedergelassen hatte, wie im Taubenschlag.
    Seit Stunden war er nicht einen entscheidenden Schritt vorangekommen.
    Es fiel ihm ungewohnt schwer, die Gedanken zusammenzuhalten. Die Kutte rieb auf seiner Haut, und sogar die Riemen der ausgetretenen Sandalen schienen ihn erstmals zu beengen. Zwei nahezu schlaflose Nächte lagen hinter ihm, die erste, die er nach der Entdeckung des Leichnams betend in San Rufino verbracht hatte, eine zweite, in der er unermüdlich immer wieder seine Aufzeichnungen durchgegangen war, um herauszufinden, was er übersehen haben könnte – leider vergeblich.
    Der Tote hatte keinen Namen, und niemand in Assisi schien ihn zu vermissen, wie Leo von Vasco Lucarelli erfahren hatte, der sich ihm gegenüber bester Beziehungen zu den hiesigen Behörden gebrüstet hatte. Also offenbar einer aus der namenlosen Schar kleiner Gauner und Beutelschneider,
wie sie sich immer häufiger in den Städten Umbriens herumtrieben. Jemand, der für ein paar Münzen zu allem bereit war – sogar den Leprösen zu spielen, der er niemals gewesen war.
    Doch wer hatte den Mann auf ihn angesetzt?
    Eine Frage, die ihn innerlich aufzufressen drohte, weil er keine Antwort darauf fand, die irgendeinen Sinn ergeben hätte.
    Inzwischen schmerzten seine Schultern, und sein Nacken war steinhart, so sehr musste

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