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Horden von Fotografen, Fernsehteams und Schreibern ein, okkupieren Zimmer, Dach,Lobby, Bar. Kein Hotelmanager liebt diese Invasionen, der Korrespondent als solcher hat gutes Benehmen nicht eben erfunden, er ist nett, aber laut bis zur Grenzüberschreitung, und er lässt seinen Krempel rumliegen, wo er geht und steht.
Andererseits, bevor die Kästen leer bleiben, kann man sie ebenso gut zur Medienzentrale umfunktionieren.
In jeder Krise steckt ein Geschäft, und nicht das übelste.
Augenblicklich tummelt sich hier nur die Vorhut. Typen, die für Amnesty International und ähnliche NGO s arbeiten, kenntlich an ihrer Vorliebe für einheimische Kleidung, wild drapierten Tücher und Bärten. Optisch nah am Volk, wie es so schön heißt. Ein paar Wahnsinnige, meist Fotografen, Irokesenschnitt, Army-Klamotten, Tattoos, schusssichere Westen mit zwölf Karabinerhaken, langes Messer am Gürtel. Das Gros der Kollegen gibt sich gewollt unauffällig – gute Schuhe, helle Stoffhosen und Hemden, die Ärmel hochgekrempelt, der Look. Viele Korrespondentinnen, da hat ein Wandel stattgefunden, ganz besonders in den USA , wo die Medienmachos schon dachten, ihr Revier abgepinkelt zu haben. Jetzt müssen sie sich das Feld mit einer wachsenden Zahl exzellent ausgebildeter Frauen teilen, die kein Risiko scheuen und die Haudegen teils ganz schön alt aussehen lassen.
Und allen wächst ein Mobiltelefon aus dem Ohr, wenn sie nicht gerade auf ihre Laptops einhacken.
Noch allerdings bewohnen weitgehend reguläre Gäste die Suiten und zahlen entsprechende Preise. Amerikaner und Russen, Vertraute der alawitischen Landeselite, Chinesen in kurzärmeligen Leinenhemden, bewaffnet mit Arsenalen kleinster Aufzeichnungsgeräte. Auch die Arabische Liga stromert durchs Land und lässt sich von Assad Sand in die Augen streuen, um nicht sehen zu müssen, wie es ihren Heimatmonarchien bald ergehen könnte. Dafür hat sich der amerikanische Botschafter in einen unbegrenzten Urlaub verabschiedet, und Tausende Syrer fliehen ins Ausland.
Und Hagen war in Homs.
Er hätte weiß Gott genug zu erzählen, stattdessen geht er an die Bar, um sich zu besaufen.
Mit Ansage.
Mehr bringt er nicht zuwege. Heute nicht und nicht in den Tagen danach, auch wenn er es immer wieder versucht. Loszieht, sobald er halbwegs nüchtern ist, sich einredet, das in Homs wäre lediglich ein simpler Schwächeanfall gewesen, eine vorübergehende Sinnkrise, na gut, ein Nervenzusammenbruch, so what ? Eine Weile funktioniert es. Jetzt amPool, Amandas Tausend-Dollar-Scheck in seiner Brusttasche, den dritten Wodka Martini neben sich und das klarinettenartige Quengeln seines Chefredakteurs im Ohr, muss er sich eingestehen, was er sich schon lange hätte eingestehen sollen.
Dass er am Ende ist.
»Tom?«
»Was?«
»Ich sagte, das ist einfach zu wenig.«
»Was ist zu wenig?«
»Seit drei Tagen höre und sehe ich nichts von dir. Wir sind ein investigatives Magazin, verstehst du, die Leute erwarten –«
»Ich tue mein Bestes. Okay?«
»Nein, nicht okay.«
»Ich muss noch an den Berichten feilen.«
»Hör auf, mich zu verscheißern. Du tust gar nichts, das ist dein Problem. Du hängst durch.«
»Unsinn.«
»Trinkst du wieder?«
»Was?«
»Ob du wieder trinkst?«
»Sag mal, wie redest du eigentlich mit mir? Ich war im beschissenen Homs, du Arschloch!«
»So? Dann schick deinen Bericht.«
»Sprich nicht mit mir wie mit irgendeinem gottverdammten Schmierfink. Erinnere dich daran, wer ich bin!«
Schweigen.
»Ich erinnere mich daran, wer du warst .« Oh, das sitzt. Chapeau! Gut pariert. »Nur darum arbeitest du für uns. Verstanden?«
Hagen schließt die Augen. Die Sonne bereitet ihm Kopfschmerzen. Er sollte in den Schatten gehen, aber selbst dafür ist er zu schlapp.
»Und jetzt will ich deine Berichte sehen.«
Hm, ja. Klar.
Er müsste nichts weiter tun, als seine Tonaufnahmen und Notizen aus Homs in lesbare Form überführen und samt Fotos nach Hause mailen.
Er könnte in Lichtgeschwindigkeit liefern.
Schneller, als der eiskalte, ölige Alkohol seine Kehle herunterrinnt.
Die Welt um ein paar weitere faszinierende Nachrichten bereichern,gestern, Afghanistan: 200 ISAF -Soldaten kotzen und scheißen sich die Seele aus dem Leib. Chemiewaffen? Nicht doch. Weit gefehlt! Spaghetti bolognese, nicht richtig durchgekocht. Toxinbildende Bakterien, wer braucht da noch die Taliban?
Das sind Nachrichten.
Gestorben wurde natürlich auch. Bundespräsident Wulff besucht Kunduz,
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