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»Und warum hast du dann nichts geschickt?«
Berechtigte Frage.
Auf dem Weg von Sirte nach Kairo jedenfalls war er dermaßen down, dass er sich nicht mal mehr in der Lage gesehen hätte, vom Punxsutawney-Murmeltiertag zu berichten.
Am liebsten wäre er einfach umgefallen und liegen geblieben.
Doch der Weg führt nach Syrien.
Unweigerlich.
Also treibt er sich zwei Tage in der ägyptischen Hauptstadt herum, wartet darauf, dass die syrische Botschaft sein Visum bewilligt, spricht mit koptischen Christen und Muslimen, die sich blutige Schlachten liefern, als hätte sie nie ein gemeinsames Interesse geeint, fühlt den Arabischen Frühling in einen ungemütlichen Herbst umschlagen, fotografiert und macht sich Notizen.
Und atmet langsam wieder durch.
Die Gaddafi-Schlappe wird ihm nachhängen, da muss er sich keinen Illusionen hingeben. Sie schmerzt und wird weiter schmerzen.
Andererseits, die Welt ist ein Krisenherd.
Reichlich zu tun.
Wie zur Bestätigung empfängt ihn Damaskus mit einer bildschönen, staatlich organisierten Pro-Assad-Demonstration. Auf dem Umajad-Platz werden Fahnen geschwenkt und »Lang lebe die Heimat und ihr Führer« geschrien, während der solcherart Bejubelte eine Delegation der Arabischen Liga trifft und mit der Zusicherung verarscht, neue Verfassungsrichtlinien ausarbeiten und der Gewalt abschwören zu wollen. Daran gemessen endet der Tag mit 20 Toten suboptimal, was in westlichen Medien allerdings kaum zu Buche schlägt, da zur selben Zeit im afghanischen Kabul ein Bus mit 13 NATO -Soldaten in die Luft fliegt. 13 tote Amerikaner, so was hat Gewicht! Sicher, der Westen schaut nach Syrien, aber irgendwie – vielleicht weil es schon traditionsbildende Züge annimmt – haben Anschläge im Irak und in Afghanistan dann doch das größere Durchsetzungspotenzial.
Hagen versucht, ein paar Oppositionelle zu interviewen.
Zwecklos. Keine da. Jedenfalls nicht an diesem 26. Oktober. Die Solidaritätsoperette ist in vollem Gange, ihr Chor singt wie mit einer Stimme. Damaskus präsentiert sich als Metropole des Präsidenten, auf deren Plätzen und Straßen sich niemand von irgendwelchen Banditen und Terroristen in den Latte Macchiato spucken lässt.
Also fährt er ins Stadtviertel Midan, wo sich zahlreiche Moscheen um die angebliche Grabstätte der Tochter Mohammeds drängen. Hier, sagt man ihm, soll es verschiedentlich rumoren. Nach den Freitagsgebeten zögen die Menschen auf die Straße, um gegen das Regime aufzubegehren. Okay, es ist Mittwoch, ein bisschen Widerstandsflair sollte dennoch zu erwarten sein, doch Midan ist verriegelt und verrammelt. Die Moscheen werden von bis an die Zähne bewaffneten Shabiha-Milizionären bewacht, deren Finger schon nervös zucken, wenn einer bloß mit langem Gesicht an einem Assad-Plakat vorbeiläuft. Niemand hier hat das mindeste Interesse, einem deutschen Journalisten seine politische Gesinnung zu offenbaren. Nicht in einem Land, dessen Fußballstadien zu Gefängnissen umfunktioniert wurden, und verletzt werden will schon gar niemand. Weiß schließlich jeder, was dir in den Krankenhäusern von Homs, Banias und Tel Kalach blüht, dass Patienten gefoltert und Verwundete zur Begrüßung erst mal von Geheimdienstlern, Pflegern und Schwestern zusammengeschlagen werden. Einzig wer aufseiten des Präsidenten kämpft, kann auf gute Behandlung hoffen und darf ausländischen Journalisten erzählen, was für Gräuel die Widerstandskämpfer an unschuldigen Bürgern verüben.
Damaskus bringt ihn nicht weiter.
Also nach Homs.
Für den Abend hat Hagens Fixer einen Trip in die Hochburg des Widerstands organisiert. Über die Dörfer schleust er ihn rein, ein riskantes Unterfangen, da sich die Stadt im Belagerungszustand befindet. Panzer blockieren die Ausfallstraßen und strategischen Knotenpunkte, auf den Dächern lauern Scharfschützen, sämtliche Telefonleitungen sind gekappt. Die allgegenwärtigen Assad-Porträts sind von den Wänden gerissen und durch Parolen ersetzt worden, »Baschar, du Hund« – »Tod dem Schlächter!«. Überleben in Homs ist ein Lotteriespiel, dennoch ziehen ganze Scharen skandierender Menschen nach den Abendgebeten durch die Viertel, sammeln sich im Schutz der Dunkelheit, in akuter Gefahr, angegriffen zu werden, verhöhnen das Regime mit Spottgesängen und lynchen Assad-Puppen. Gaddafis Ende macht ihnen Mut, und den können sie wahrlich brauchen. Mut ist im Augenblick so ziemlich das Einzige, was sie den unvermittelt herabstoßenden
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