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Breaking News

Breaking News

Titel: Breaking News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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richtig angefangen hat.
    Wie eigentlich schon seit einer Woche.
    Mit dem Unterschied, dass Hagen heute nicht mal den Versuch unternimmt, sich aus der Falle zu befreien. Und man kann nun weiß Gott nicht behaupten, das Damascus Four Seasons sei ein elender Ort, es zählt zu den nobelsten Herbergen des Vorderen Orients, doch der Ortist in ihm. Wo früher sein Selbstwertgefühl wie eine strahlende Sonne pulsierte, saugt jetzt ein schwarzes Loch jeden Rest Kraft, jedes winzige bisschen Zuversicht in sich hinein.
    Wächst in ihm, ein bedrohlicher Nihilismus.
    Zehrt ihn auf.
    Mit jedem Tag fällt es ihm schwerer, dem Sog zu widerstehen. Wie alle schwarzen Löcher wird auch dieses umso gefräßiger, je mehr es in sich hineinschlingt. Es frisst die Vergangenheit und die Zukunft, löscht unterschiedslos schlimme wie gute Erinnerungen aus, schreddert Freude, Hoffnung, Empathie, Angst, Hass und Selbsthass, und gerade von Letzterem hat Hagen überreichlich im Angebot. Also füttert er das Monstrum, und der Alkohol, den er hinterherkippt, fungiert als Wachstumsbeschleuniger. Er weiß, je mehr das Loch wuchert, desto mehr Kraft wird es ihn kosten, sich seiner Gravitation zu widersetzen. Zugleich werden die Stimmen in seinem Kopf lauter, einfach aufzugeben. Schlechte Ratgeber sind es, mit denen er sich da rumschlagen muss, ein Mädchen vor einer Höhle, ein Junge auf einem Dach, doch ihre Einflüsterungen haben etwas dunkel Verlockendes.
    Kapitulieren.
    In sich selbst verloren gehen.
    Warum eigentlich nicht? Doch sosehr ihn die Stimmen quälen, halten sie ihn zugleich am Leben. Solange er noch fühlt, was er nicht fühlen will, hat die Depression keine Macht über ihn.
    Wahrscheinlich würde es schon helfen, wenn er mit der Sauferei aufhörte.
    Seinen Bericht schriebe.
     
    Stattdessen hängt er am Pool des Damascus Four Seasons herum und durchsucht die stygische Finsternis in seinem Schädel nach Gründen, die ihn veranlasst haben, einer betrunkenen Millionärin vorzuschwindeln, er sei ein Callboy. Nicht, dass er Amandas Aussage in Zweifel zieht. Es wird exakt so gewesen sein, wie sie gesagt hat, was aber nur beweist, dass der Prozess seiner Selbstentwertung längst nicht abgeschlossen ist.
    Oder sollte er besser sagen, seiner Selbstvernichtung?
    Denn darauf läuft es ja wohl hinaus.
    Callboy –
    Wie kann man nur so tief sinken?
    Um Komplizenschaft bemüht, stellt er sich vor, die Frage an Amanda weiterzureichen: Wie sie nur so tief sinken konnte, dass ihr seine abgerissene Erscheinung 1000 Dollar wert war. Bei ihrer Vermögenslage kann sie sich mit dem Äquivalent des jungen Richard Gere zur Nacht betten, also warum bezahlt sie einen schlecht rasierten Fremden, der schon an der Bar die Contenance verliert, für Sex im Vollrausch?
    Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd.
    Weil sie die Wahl hat.
    Tief sinken kann nur, der zu schwimmen verlernt hat, und Amanda dürfte weit davon entfernt sein, abzusaufen. Mit dem Auftrieb ihrer diversen Millionen schwimmt sie, wohin sie will.
    Taucht ab. Taucht auf.
    Nach Belieben.
    Und ich sinke dem Abgrund entgegen wie ein toter Fisch.
    (Schwachsinn! Jammerlappen! Reib dir die Augen und schreib endlich deinen verdammten Bericht!)
    Wozu?
    Um was zu erreichen? Dass im entscheidenden Moment wieder alles danebengeht?
    Doch es ist ja noch viel schlimmer.
     
    Die Wahrheit ist, dass er sich außerstande sieht, überhaupt irgendetwas zu schreiben.
    Außerstande, ein weiteres Mal den Kampf gegen die großen Magazine, die potenten Sender, aufzunehmen. Selbst deren Vertreter, ausgestattet mit komfortablen Budgets, können wenig mehr tun, als vom Hoteldach aus Mutmaßungen zu äußern, und Hagen arbeitet für ein drittrangiges Internet-Magazin, dessen Chefredakteur gerade mal wieder wissen will, warum sein einziger Auslandsreporter im teuersten Hotel der Stadt Unsummen verpulvert, ohne seit drei Tagen etwas Verwertbares abgeliefert zu haben.
    »Was erwartest du denn für deine Scheißkröten?«
    »Wenn die Scheißkröten reichen, dir im Four Seasons den Arsch abwischen zu lassen, wird ja wohl auch eine Reportage drin sein, die aus dem ganzen Brei raussticht.«
    Genau, denkt Hagen. Der ganze Brei. Wir nudeln die Leute mit Nachrichtenbrei, zwingen es ihnen rein wie bei der Gänsemast. Zehn Tote hier, 17 Verletzte da.
    »Mensch, Tom, was ist los? Warum gehst du nicht nach Homs?«
    »Ich war in Homs.«
    »Wann?«
    »Am Tag meiner Ankunft.«

    »Ja, und?« Hagen hört den anderen die Fassung verlieren.

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