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Breaking News

Breaking News

Titel: Breaking News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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stärkt der Bundeswehr den Rücken. Die Mehrheit der Deutschen ist gegen den Einsatz, der seit Jungs Ablösung durch zu Guttenberg endlich Krieg heißen darf.
    Karl Theodor zu Guttenberg. Auch wieder Geschichte.
    Hagen summt vor sich hin.
    Er will nicht an Afghanistan denken.
    Den Bericht schreiben, klar, doch, klar. Was man nicht alles aufschreiben könnte. Die Quartalszahlen von Lockheed Martin, Northrop Grumman, General Dynamics und Boeing. Wie geht’s der Rüstungsindustrie? Danke der Nachfrage: F-16-Jagdflieger, B-2-Bomber, Abrams-Panzer oder Chinook-Hubschrauber – satte Gewinne eingefahren. Amnesty International nölt rum: Die Freie Welt habe durch ihre massiven Waffenexporte in den Nahen Osten und nach Nordafrika zur Unterdrückung der dortigen Protestbewegungen beigetragen. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich, Russland, Tschechien und die USA , sie alle hätten die Machthaber Ägyptens, Syriens, Libyens, Jemens und Bahrains mit Sprengkörpern und Gewehren versorgt, als längst klar war, dass die Lumpen damit die Menschenrechte unterdrücken.
    NEIN ! IST NICHT WAHR !
    So was tun die?
    Also, in Berlin hat keiner was davon gewusst.
    Die Bundesregierung liefert zur Verschönerung des Landschaftsbildes 200 Kampfpanzer an Saudi-Arabien.
    Hagen beginnt zu kichern, schlürft an seinem Drink.
    War da nicht was in Somalia?
    Ach ja. Kenia ist einmarschiert, um die bösen al-Shabaab-Milizen zu zerschlagen. Gerade nicht so populär. Vielleicht Kuwait. Da protestieren sie gegen den Regierungschef. Tote? Nö. Weiterblättern. UN sprachlos. Russland und China blockieren jede Resolution gegen Assad, erstaunlicherweise aber nicht gegen den Jemen, wo Saleh mit tödlicher Präzision auf sein Volk schießen lässt.
    Jemen?
    Wo ist noch mal der Jemen?

    Homs, Homs, Homs.
    Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne. Hagen fröstelt.
    Jetzt muss er liefern, jetzt! Noch glänzen die Superstars durch Abwesenheit. Wenn erst Christiane Amanpour mit ihrer 30-köpfigen Entourage aufkreuzt, um Assad exklusiv die letzten Worte zu entlocken, kann er einpacken. Sobald Jeremy Bowen von BBC mit unübertroffener Nonchalance seinen Strohhut durch die Lobby trägt, wird es eng für kleine Internet-Korrespondenten. Ganz zu schweigen von CNN -Topreporter Anderson Cooper, muskulös, keine Gefahr scheuend und so oft im Bild, dass böse Zungen ihm nachsagen, seine T-Shirts säßen umso enger, je tiefer die Kugeln flögen.
    Hihi. Haha!
    Sein Handy lässt Dave Grohl von der Leine.
    My number’s up, bridges all burned –
    Wenn das wieder dieser Arsch von Redakteur ist –
    »Hallo, Tom.«
    Hagen kann es kaum glauben.
    Die Stimme hat er seit über zwei Jahren nicht mehr gehört.
    »Wie geht’s dir, Tom?«
    Erinnerungen stellen sich ein, gute und schreckliche. Kommen mit Macht über ihn. Das schwarze Loch stülpt sich aus, und plötzlich ist alles wieder da, schmerzhaft wie glühendes Eisen und zugleich so vertraut, dass er heulen könnte.
    Was heißt hier könnte?
    »Stör ich?«
    »Nein.« Tatsache, er heult. »Du störst nicht.«
    »Alles in Ordnung, Alter?«
    »Ja. Nein. Ich –« Tränen laufen über Hagens Wangen, seine Stimme arbeitet sich mühsam an dem Kloß vorbei, der in seiner Kehle anschwillt, und das Fass läuft über.
    »Hm, schlechter Zeitpunkt, was?«
    »Nein.«
    »Ich kann später noch mal –«
    »Nein, es ist alles – alles okay, ich – kann nur –«
    Keine Toten mehr sehen.
    Keine zerschossenen Häuser und qualmenden Wracks.
    Kann den Blick der Lebenden nicht mehr ertragen, ihre Geschichten von Verzweiflung, Erniedrigung, Misshandlung. Ich kann das alles nicht mehr verarbeiten, es ist zu viel, ich –
    »Ich kann einfach nicht mehr, Krister.«

Israel, Tel Aviv, 31. Oktober
    Von allen Agenten, die nicht wie solche aussehen, sieht Ricardo Perlman am wenigsten wie einer aus.
    Mittelgroß, mit freundlichen, immer etwas betrübt blickenden Augen hinter goldgefassten Brillengläsern, die weißen Haare in pedantische Wellen gelegt, könnte er dem arrivierten Kulturbetrieb entsprungen sein – ewiger zweiter Geiger im Israel Philharmonic Orchestra, stellvertretender Museumsdirektor. Der Nimbus des Missverstandenseins haftet ihm an, die in Resignation umgeschlagene Enttäuschung, nicht gebührend wahrgenommen zu werden. Einer, dessen Leistungen man zwar goutiert, ohne sich jedoch mehr von ihm zu erwarten, und der in luziden Momenten erkennt, dass er auch nicht mehr zu bieten hat.
    So kann man sich irren.
    Perlman

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