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Nerven verloren und das Feuer auf zwei Autos eröffnet hatten, gestaltete sich da schon schwieriger. Vier Kinder waren im Kugelhagel gestorben. Ein tragischer Unfall, ein Missverständnis, das Begriffe wie Ehrverletzung und Blutrache aufklingen ließ.
Und das war ein verdammtes Desaster!
Wenn sie hier irgendetwas überhaupt nicht brauchen konnten, dann diesen Blutrachemist.
Der Gouverneur von Kunduz fand beschwichtigende Worte. Die Bundeswehr träfe keine Schuld. Wie es denn um Entschädigung bestellt sei? Entschädigung helfe immer. Das sahen die Stammesführer ähnlich, und die Wogen glätteten sich. Jung war nicht mit leeren Händen gekommen, jedenfalls waren sie weniger leer als seine Worte. Außerdem muss man sagen, Soldaten lieben Truppenbesuche. Sie freuen sich grundsätzlich über jeden, der nachschauen kommt, ob es sie noch gibt.
Also auch über Politiker.
Gut, vielleicht hätten sie sich über Lady Gaga mehr gefreut.
Oder wenigstens über Verona Pooth.
Oder Xavier Naidoo!
Dieser Weg wird kein leichter sein –
Aber Jung war schon okay.
Inzwischen ist der Verteidigungsminister in der beruhigenden Gewissheit, den Erfordernissen nach besten Kräften Genüge getan zu haben, zurück nach Deutschland geflogen. Und Hagen, der die ganze traurige Farce pflichtschuldigst dokumentiert hat, befindet sich auf dem Weg zu seinem Interview.
In einem fremden Fahrzeug.
In fremder Hand.
Der Land Cruiser knallt in ein Schlagloch, schießt wieder heraus. Kämpft sich eine Anhöhe hinauf. Vorne quasseln sie unermüdlich weiter, junge, kraftvolle Stimmen, auf Paschtu. Hagen versteht kein Wort, aber die Typen scheinen guter Dinge zu sein.
Er wechselt ein paar Worte mit Björklund. Erstaunlich, wie wenig sie während der vergangenen Stunden miteinander gesprochen haben, andererseits, worüber sollen sie reden? Dass es im Wagen stickig ist? Dass die Kapuzen ihnen keine Möglichkeit lassen, sich auf die Unwägbarkeiten des Geländes einzustellen, sodass jede Bodenwelle die Wirkung einer Überraschungsattacke auf ihre Lendenwirbel entfaltet? Dass es riskant ist, worauf sie sich einlassen?
Natürlich ist es das. Was denn sonst? Was gibt es darüber zu reden?
Seine Gedanken wandern zu Inga.
Sie wollte unbedingt mit.
Was nicht ging. Wegen der Regeln. Gemeinhin ist Hagen wenig zimperlich, sein Team Risiken auszusetzen. In Krisengebiete fährt man nicht wegen der heißen Quellen. Zwar sind Inga die wirklich harten Sachen bislang erspart geblieben, andererseits, wer mitkommt, um aus Afghanistan zu berichten, dessen Schonzeit ist eigentlich abgelaufen.
In diesem Fall jedoch –
Oh, sie hat insistiert! Ihn genervt. Noch vergangene Nacht im Camp, während er sie vögelte, hat sie gestöhnt, er solle sie mitnehmen. Und natürlich versteht er sie, kann ihren Hunger nachfühlen. Als er den Cracks unter den Krisenreportern noch das Equipment hinterhertragen und an der Hotelbar ihre pompösen Bierrechnungen begleichen musste, war er genauso. Tom Hagen gab so lange keine Ruhe, bis sie ihn mitnahmen.
Überallhin.
Jetzt genießt er selbst den Ruf eines Cracks.
Aber die Taliban machen die Regeln.
Also hat er Inga erklärt, die Entführer wollten keine dritte Person. Schon gar keine Frau. Ohnehin hätte die Redaktion ihm untersagt, sie in die Sache mit reinzuziehen, was ja auch stimmt. Hauptsache, er ist aus dem Schneider, ohne dass sie ihm vorwerfen kann, er halte sie nicht für tough genug.
Wohin mögen sie fahren?
Irgendwohin.
Sie könnten in jeder Richtung unterwegs sein. Bis auf Norden vielleicht. Dafür ist das Gelände zu schnell und zu steil angestiegen. Der nördliche Rand ist flach, eine staubige Wüste, die sich bis an die Grenzen Tadschikistans und Usbekistans erstreckt. Der Westen kommt ebenso wenig infrage. Auch dann hätten sie jetzt Wüste unter den Rädern, doch es geht unverändert rauf und runter.
Süden? Richtung Kabul?
Er muss an Daniele Mastrogiacomo denken, den italienischen Journalisten, dessen Name vergangenes Jahr durch die Medien ging. Beileibe kein Anfänger. Reiste nach Helmand, um Mullah Dadullah zu interviewen, einen der grausamsten Kommandeure der Gotteskrieger. Alles abgesprochen und organisiert. Über Vertrauensleute, ähnlich wie jetzt.
Dann wurden sie gekidnappt.
Und lernten die Hölle kennen.
Zwei Wochen verbrachten Mastrogiacomo, sein Dolmetscher und sein Fahrer in der Gewalt der Taliban, nur um am Ende zu erfahren, dass der Mullah sie nach Strich und Faden verarscht hatte.
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