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Pracht in eigenartigem Kontrast zur Kahlheit der Wände steht. Dicke Sitzkissen reihen sich aneinander. Zwei Vermummte halten Wache, nur ihre Augen sind zwischen den Stofffalten zu sehen. Sie wirken entspannt, haben ihre Kalaschnikows auf den Knien abgelegt. Mustern die Besucher voller Neugier.
Zwischen ihnen hocken die Geiseln.
Die Szenerie wirkt auf gespenstische Weise inszeniert. Als hätten Kulissenbauer eines dieser al-Qaida- und Haqqani-Videos nachgestellt. Erst verzögert bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass alles real ist – wie es geschieht, wenn man das Ortsschild einer Stadt passiert, deren Namen man bislang nur aus den Verkehrsnachrichten kannte, um plötzlich festzustellen, dass es sie tatsächlich gibt. Zwei weitere Personen betreten den Raum, einer ein Klotz im Kaftan, möglicherweise der Stammesführer, von dem Husain gesprochen hat. Der andere hat Taliban auf der Stirn stehen: mager, im grauen Salwar, mit penibel gepflegtem Bart und sorgfältig gewickeltem schwarzem Turban. Ums Handgelenk trägt er eine braune Timex, wie sie bei der US -Navy üblich ist, ein fettes, teuer aussehendes Ding.
In seiner Schärpe steckt ein Messer.
»Al salāma ’alaikum« , sagt Hagen.
Der Talib lächelt.
»Wa-’alaikum al-salām wa-rahmutu allāhi wa-barakātuhu.«
Sie reichen einander die Hände, begrüßen sich auf afghanische Art, indem jeder zugleich mit der Linken den Unterarm des Gegenübers berührt.
»Amanullah«, stellt sich der Talib vor.
Oder auch nicht, denkt Hagen.
Das Händeschütteln dauert. Der Dicke behauptet, Muneer zu heißen. Zu Hagens Erstaunen schießt Björklund einen Satz aus der Hüfte, den er ihn nie zuvor hat sagen hören und von dem er kein Wort versteht, der jedoch gut anzukommen scheint. Muneer lässt eine melodiöse Antwort folgen. Hagen will seine Kappe fressen, wenn Björklund nicht spätestens jetzt auf dem Schlauch steht, und genauso ist es, aber immerhin, er hat Eindruck geschunden.
Auch die Geiseln werden begrüßt. Eingefallene, blasse Gesichter. Hagen studiert sie, während sie ihre Namen nennen, ihm versichern, sie seien wohlauf und einigermaßen anständig behandelt worden. Jedes Wort codiert das Gegenteil. Nur Walid Bakhtari, der einheimische Dolmetscher, ist landesüblich gekleidet. Max Keller trägt Designerjeans, Goldschmuck und ein T-Shirt mit James-Dean-Aufdruck, und Hagen würde ihn am liebsten packen und durchschütteln.
Verdammte dumme Kids, denkt er. Wollt die Welt verändern und schafft es nicht mal, euer Äußeres anzupassen. Angeödet vom Wohlstand, dessen aufdringlichste Repräsentanten ihr seid, müsst ihr unbedingt etwas ›Sinnvolles‹ tun. Also reist ihr mit runden Augen in Krisengebiete und findet jeden Schlamassel pittoresk, weil die Menschen ja so freundlich sind und alles mit dir teilen, obwohl sie selbst nichts haben! Dieser Scheiß! Jeder echte Entwicklungshelfer kriegt Pickel bei eurem Anblick. Das Sinnvollste, was ihr hättet tun können, wäre gewesen, zu Hause zu bleiben und weiterhin das Geld eurer Eltern auszugeben.
Sein Blick wandert zu Marianne Degas. Ihr kleines, verstörtes Gesicht hebt sich ihm aus den Falten eines Überwurfs entgegen, den ihr nur die Entführer verpasst haben können. Ihre Idee war es ganz sicher nicht, das Ding zu tragen.
Sei froh. Andere hätten dich unter einer Burka verschwinden lassen.
Er schickt ein aufmunterndes Lächeln in die Runde.
»Alles wird gut.« Die abgedroschenste aller Lügen, aber von bewährter Wirkung.
Wie zur Bestätigung fährt Muneer Keller durchs Haar, eine väterlich wirkende Geste. Sagt etwas auf Paschtu, das freundlich und beruhigend klingt, bittet die Besucher mit Gesten, Platz zu nehmen. Sie machen es sich auf den Polstern bequem, direkt gegenüber den Geiseln wie in Erwartung einer Vorstellung. Ein Junge erscheint mit einem Tablett, stellt Teller vor sie hin, Bonbons, Gebäck und bunt gefärbte Zuckerwürfel, füllt Gläser mit dampfendem gelbem Tee. Als er Muneer und den Talib bedient, senkt er respektvoll den Blick.
Amanullah beachtet ihn nicht. Seine Augen ruhen auf Hagen.
Augen, grün wie Smaragd.
Eine außergewöhnliche Klarheit liegt darin, als habe der Mann zu einer Übereinkunft mit sich gefunden, die ihn gegen jegliches Wenn und Aber immunisiert. Anders kann das Glaubensgebäude der Taliban nicht bestehen. Jeder leiseste Zweifel würde seine Fundamente erodieren und es in sich zusammenstürzen lassen.
Wie alt mag er sein? Ende zwanzig?
Immer wieder muss Hagen
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