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in den Restaurants Partner und an der Bar Freunde geworden, umsorgt von dienstbaren Geistern aller Konfessionen. Hier haben Rabin und Arafat bei türkischem Mokka, palästinensischem Bier und französischem Käse die Grundlagen der Oslo-Verträge ausgehandelt, andere Auftragsmorde erörtert, Martini in der Hand, ganz wie im Kino.
Das American Colony ist Kino.
Hagen schaut sich um.
War das gerade Tony Blair? Als Sondergesandter des Nahostquartetts unterhält der Expremier hier ein Büro. Vertrauter Anblick, ihn zu später Stunde durch die Kellerbar geistern zu sehen, eigentlich wundert man sich im American Colony über gar nichts mehr.
Wie bitte?
Angelina Jolie treibt ihre sieben Kinder durch den Spa?
Gehen wir halt in den Palmengarten.
Es war nicht Tony Blair. Heute ist Prominenz Mangelware. Keine Schauspieler, Politiker, kein Geheimdienst. Geheimdienstler würden Hagen auffallen mit ihrer zur Schau getragenen Unauffälligkeit. Dafür deutsche Kollegen, gruppiert um Björklunds und Lukoschiks Tisch.
Small Talk.
Themensurfen.
Hagen tritt hinzu. Herzliche Begrüßung. Den Älteren kennt er seit Jahren, die junge Kollegin hat er nie zuvor gesehen.
Sie ihn offenbar auch nicht.
Tom Hagen? Aha.
Ungeachtet dessen sind alle nett zu ihm, äußerst nett sogar, bis sich das Interesse auf CBS -Frontfrau Lara Logan verlagert, die den Hof durch ihr bloßes Erscheinen in Besitz nimmt, ein Superstar der Frontberichterstattung, und das nicht erst, seit sie auf dem Tahrir-Platz beinahe Opfer einer Massenvergewaltigung geworden wäre. Ohne Zweifel gehört Logan zu den Besten ihrer Zunft, sie sieht hinreißend aus, und ihre Geschichte ist geeignet, einem Schauer über den Rücken zu jagen.
Der geborene Mittelpunkt.
Was tut sie hier, wo sich doch alle nach Syrien orientieren?
Und was tust du hier, Junge?
Hagen denkt an Afghanistan. Nicht 2008.
Winter 2001.
Dort sind sie sich begegnet, als Logan noch weniger populär war und er glaubte, leichtes Spiel mit ihr zu haben. Eine dieser Lara-Croft-Typen, wie sie plötzlich in den Krisengebieten auftauchten, Tanktop, Shorts, sehr selbstbewusst und ohne jede Furcht. Beide waren sie nach den Anschlägen von 9/11 hergekommen, um über Shah Massouds Nordallianz zu berichten, und Logan mochte ihn. Doch, schon.
Das war’s dann aber auch.
Vielleicht, denkt er, wenn ich zu ihr rübergehe, wird sie sich erinnern.
Hey, Tom! Na, so was!
An den kraftstrotzenden, gut gelaunten Typ, dessen kometenhafte Karriere gerade ihren Anfang genommen hatte.
Klar doch, Tom!
Zögert.
Hätte Inga eine zweite Lara Logan werden können?
Tom? Äh – tut mir leid, aber –
Was soll’s. Er dreht ihr den Rücken zu und widmet sich seinem alkoholfreien Bier.
Sie essen im Askadinya, einem arabischen Restaurant unweit des American Colony, das jede Menge historisches Jerusalemer Flair atmet, gebaut um einen wie versteinert wirkenden Baum. Es ist dunkel geworden, der Weg dorthin stockfinster. Ostjerusalem halt, ein infrastruktureller Grenzfall. Der Mangel an Straßenbeleuchtung, erklärt ihnen Lukoschik, trage mit dazu bei, dass das Askadinya immer noch als Geheimtipp gelte, weswegen man hier vorwiegend Touristen antreffe, die nicht in Touristenrestaurants gingen, das Taboulé jedenfalls ist gut und die Weinkarte voller schwerer Franzosen und Italiener. Mit am Tisch sitzt Lukoschiks Fixer, ein pensionierter Literaturprofessor, der den Kontakt zu Gilad Shalits Familie hergestellt hat.
»Ich dachte, Shalit lebt in einer Siedlung«, sagt Hagen, der sich als Einziger mit Mineralwasser begnügt.
»Nein, Nordisrael.« Der Professor lächelt. »Wie kommen Sie darauf, er lebe in einer Siedlung?«
Ja, wieso? Vielleicht, weil die Armee mehr und mehr von Religiösen durchsetzt ist? Und fast alle Nationalreligiösen stammen aus Siedlungen.
»Tja, die Armee«, sagt der Professor vergnügt. »Vordergründig einÜberbleibsel unserer einst so egalitären Gesellschaft, darum wirkt sie auch so schön konsensbildend.«
»Und tatsächlich?«, fragt Lukoschik.
»Nun ja. Andere Länder können es sich erlauben, hier und da einen Krieg zu verlieren. Israel konnte das nie. Der Wehrdienst war keine Frage der Ideologie, sondern schlicht der Notwendigkeit. Seit geraumer Zeit wankt dieser Konsens, ich will nicht sagen, er bröckelt, aber die Frage wird laut, wen oder was die Armee repräsentiert.«
Björklund stopft Fladenbrot in sich hinein. »Wenn es in Israel irgendwas gibt, worauf sich alle verständigen können,
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