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Erst als ihre Soldaten aus Dörfern beschossen wurden, in denen sie gestern noch Schulen gebaut hatten, ging den Befehlshabenden ein Licht auf, und sie fragten sich entgeistert, was da schieflief.
Hatte man sich nicht glänzend verstanden?
Man hatte. Und die meisten Afghanen mögen die ISAF -Soldaten ja auch, jedenfalls mehr als ihre eigene Regierung. Nur dass man hier überlebt, indem man Zweckbündnisse eingeht, und nicht, indem man jemanden mag.
»Inzwischen ist den Alliierten klar geworden, dass sie den Schacher um Sympathien verlieren werden. Das funktioniert nur in der Fläche, durch ständige Präsenz.«
»Und dafür sind sie zu wenige.«
»Tja«, lächelt Husain. »Die Geburtswehen der Erkenntnis.«
»Also geht die ISAF dazu über, den Schmusekurs der Mudschaheddin anderweitig zu hintertreiben, indem sie Jagd auf deren Führer macht und sie gezielt ausschaltet?«
Husain nickt. »So, wie es die Israelis mit der Hamas tun.«
Hagen betrachtet ihn. Was mag vorgehen im Kopf des Fixers? Zu fragen, auf wessen Seite er steht, wäre obsolet. Hier steht man auf der richtigen Seite, indem man sie wechselt.
Aber woran glaubt er?
Sie sind in die Marktstraße einbogen, die zum Cunningham-Uhrturm führt, einem Relikt aus der Zeit, als die Briten noch von ihrem Weltreich träumten. Mit fortschreitender Abkühlung belebt sich das Viertel. Tuk-Tuks, die Scheiben unter Aufklebern verschwunden, schießen ihnen entgegen. Ins Knattern wartungsüberfälliger Zweitakter mischt sich das Hornissengebrumm der Mopeds, Fahrradfahrer trainieren den Überlebensslalom. Wer hupen kann, hupt: um Freunde zu grüßen, Fußgänger aufzuscheuchen, Verkehrsvergehen anderer zu kommentieren, eigene anzukündigen und schlicht, weil der Besitz einer Hupe impliziert, sie zu benutzen.
»Hunger?«
Husain stoppt vor einem der Stände. Gemüse, Früchte, Gewürze locken in flachen Schalen. Eine Duftwolke überlagert den Gestank der Abgase. Lebende Hühner drängen sich in gestapelten Käfigen. Der Fixer macht einen Scherz mit dem Händler auf Urdu, Mangos und Rupien wechseln den Besitzer. Der Händler schneidet die Früchte für sie auf, bevor sie weiterziehen.
»Das bereitet den Taliban Sorgen«, sagt Husain kauend. »Also was tun? Zurück zum Straßenterror? Sich weiter auf Marktplätzen in die Luft sprengen und hoffen, dass unter den Hunderten Zivilisten, die dabei draufgehen, auch ein paar ausländische Soldaten sind? Damit würden sie das Vertrauen der Bevölkerung nur wieder verspielen.«
»Ganz werden sie es nicht lassen«, meint Hagen, Saft in den Mundwinkeln.
»Nein, aber wie schon gesagt –«
»Es bringt sie nicht weiter.«
Und offene Kriegsführung ebenso wenig. Diesen Flächenkonfliktkönnten die Taliban wiederum nicht gewinnen. Nicht gegen die Hightech-Maschinerie der ISAF . Wie also schwächst du einen Gegner, der deine Anführer mit Nachtsichtgeräten aus den Löchern treibt und abschießt wie Hasen? Indem du seine neue Strategie ebenso adaptierst wie seine vorherige, so wie du bislang noch jede seiner Strategien adaptiert hast.
Hinschauen und lernen.
Die Fläche opfern zugunsten eines gezielten Targeting.
»Und zwar High Targeting «, nickt Husain.
Weil die Taliban verstanden haben, dass dieser Krieg nur in den Medien zu gewinnen ist. Und die Medien sind es leid, den immer gleichen Blutfleck heranzuzoomen. So tragisch es sein mag, wenn Zivilisten zerfetzt werden und Gefreite in Särgen zurück nach Hause reisen, die Welt gewöhnt sich auch daran. Wer fragt noch nach der täglichen Autobombe im Irak? Das sind keine Meldungen mehr, das ist Hintergrundrauschen.
»Also setzt die Quetta Shura fortan auf Aktionen, die den Taliban eine 24-stündige Dauerpräsenz auf CNN gewährleisten. Das ist die neue Direktive.«
»Sieger nach Sendezeit.«
»Richtig.«
Quetta Shura. Was nach der US -Intervention vom Taliban-Regime geblieben war, hat sich unter Mullah Mohammad Omar ins pakistanische Quetta abgesetzt und dort neu formiert. Ein Krake, der unablässig neue Arme produziert, sich vom Nachbarland aus in eine afghanische Provinz nach der anderen schlängelt, um den Ungläubigen die Luft abzuschnüren und die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Die Quetta Shura, das sind die Bosse. Sie geben den Kurs vor.
Hagen schnaubt geringschätzig. »Wenn sie es anfangen wie im April, werden sie mit ihrer Direktive nicht weit kommen.«
Da haben sie nämlich versucht, Karzai zu töten.
Und es vermasselt.
Aber was, wenn es gelingt?
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