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nur, wie man sowjetische Jets vom Himmel holte, sondern förderte auch noch sehenden Auges die Verflechtung dschihadistischer Ideen zu einem Netzwerk, dessen Name nach dem 11. September 2001 die ganze Welt kennen sollte. Nirgendwo sonst hätte al-Qaida prächtiger gedeihen können als im intriganten Peschawar. Das Gästehaus eines gewissen Osama bin Laden avancierte zum Hotel Terror, Selbstmordattentäter wünschten einander dort gesegnete Himmelfahrt. Es wimmelte nur so von Agenten der CIA und des ISI in der Stadt, von Militärberatern, Journalisten, Dschihadisten, Gangsterbossen und Politikern, Letztere oft in Personalunion.
»Und was ist ihre neue Strategie?«
»Dir wird aufgefallen sein, dass sie versuchen, die Sympathien ihrer Landsleute zurückzugewinnen.«
Stimmt, denkt Hagen.
Dabei kommt es den Taliban zupass, dass sich die ANA , die Afghan National Army, als korrupter Haufen disqualifiziert und die Polizei keinen Deut besser dasteht. Wovon immer ISAF -Ausbilder träumen, wenn sie versuchen, aus Analphabeten, Arbeitslosen und Kriminellen ordnende Allianzen zu schmieden, es geht hoffnungslos schief. Ebenso gut könnten sie die Gefängnisse öffnen und jedem, der nach draußen läuft, eine Mütze, eine Dienstmarke und eine Knarre verehren.
Was nicht ganz stimmt. Es gibt durchaus afghanische Ordnungshüter, die willens sind, ihr Volk zu schützen.
Nur bitte, vor wem? Vor den Taliban? Vor der grassierenden Vetternwirtschaft, die sich wie ein Bandwurm durch alle politischen Institutionen zieht? Vor Hamid Karzai, dem Präsidenten, dessen Halbbruder von Kandahar aus die Drogenmafia regiert und sich von der CIA goldene Türklinken bezahlen lässt? Vor den eigenen Kollegen, die ihre Waffen, kaum dass sie sie erhalten haben, an jene verscherbeln, die sie damit bekämpfen sollen?
Die Antwort lautet: Ja.
Und noch was: Wenn du dich nicht kaufen lässt, braver Polizist, bist du morgen ein toter Polizist.
Kein Wunder, dass die meisten Afghanen jedem ISAF -Soldaten hundertmal mehr über den Weg trauen als den eigenen Sicherheitskräften, die ihre Gunst nach Höchstgebot verteilen, rund um die Uhr stoned sind und eines definitiv nicht tun:
Recht sprechen.
Aber die Taliban tun es.
Gezielt haben sie begonnen, das Vakuum staatlicher Gesetzlosigkeit zu füllen, Konflikte nach den Statuten des Paschtunwali zu schlichten, den Bedürfnissen von Menschen Rechnung zu tragen, die nichts anderes kennen, als im Matsch ihrer Felder zu schuften, ohne je weiter von zu Hause entfernt gewesen zu sein als zehn Kilometer. Menschen, diekeinen Schimmer haben, was ein Wahlzettel ist, die Namen darauf nicht lesen und ihren eigenen nicht schreiben können, ganz zu schweigen davon, dass ihnen die Kandidaten nichts sagen und schon gar nicht dieser Hamid Karzai in einem Kabul, das auf dem Mond liegen könnte, so weit ist es von ihrem Leben entfernt. Deren berechtigte Frage lautet, wie Herr Karzai beispielsweise das Problem zu lösen gedenkt, das Abdullahs idiotischer Neffe der Gemeinschaft eingebrockt hat, indem er Ajmals Tochter länger anglotzte, als es feierlich war. Was durchaus ein Grund sein kann, Blut zu vergießen. Hätte Herr Karzai in der Sache nicht längst mal seinen Arsch herbewegen und mit allen Beteiligten sprechen müssen?
Nicht?
Wozu ihn dann wählen?
Man muss die Taliban nicht mögen. Aber sie lösen Probleme.
»Weil sie gut aufgepasst haben«, sagt Husain. »Weil sie die Strategien der ISAF sehr genau studieren.«
Dabei sind sie Zeuge geworden, wie die ISAF eine Charmeoffensive nach der anderen fuhr. Die Soldaten gingen in die Ortschaften, zogen sich die Sorgen der Einheimischen rein, studierten ihre Gebräuche, versuchten, wie Afghanen zu denken. Sie entwickelten sich zum lieben Onkel, der Geschenke mitbrachte, die Infrastruktur verbesserte, kleine Bündnisse schloss und den Gotteskriegern, die vorzugsweise aus Gewehrläufen predigten, langsam aber sicher die Sympathien abgrub.
»Also haben sie sich gesagt: Das können wir auch.«
Und die Strategie adaptiert.
Ganz schön schlau, denkt Hagen. Die Erfindung des Kuscheltaliban.
Na ja, vielleicht nicht ganz.
Aber für Leute, die mit Inbrunst Ehebrecherinnen steinigen, geben sie sich unerwartet flauschig. Und Blut ist dicker als Wasser, paschtunisches allemal. So hat sich die Stimmung langsam gedreht. Der Witz dabei ist, dass die ISAF anfangs nicht das Geringste von alledem mitbekam. Sie kannte es ja nicht anders, als dass die Menschen Angst vor den Taliban hatten.
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