Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
– die Sechsjährige im gelben Strickkleid, der man gesagt hatte, ihre Mutter sei tot, und die wochenlang nur an mir klettete. Sie hätte sich auch an meinen Vater geklettet, hätte der nicht jeden Tag mit seiner Flasche in seinem Zimmer oder im Ministerium zugebracht. Danach war er nie wieder der Alte. Er lebte nur noch für seine Arbeit.
Ich setze mich wieder und mustere Niamh, die mich ihrerseits mit Blicken durchbohrt. Wieso muss ausgerechnet ich ihr eröffnen, dass unser Vater nie wiederkommen wird? Warum muss ich derjenige sein, der ihre Welt zerstört?«
»Sag mir, was los ist«, fordert sie.
Jude schaut mich ernst an. »Ich lass euch zwei dann mal reden«, sagt er.
Niamh runzelt die Stirn. »Über was?«
QUINN
Während Bea und Jazz sich ausruhen, durchkämme ich den Bahnhof nach Ausgestoßenen, steige über die Rolltreppe in die obere Ebene – eine lichtdurchflutete, glasüberdachte Halle. Bei dem knallblauen Himmel könnte man fast meinen, es sei ein Sommermorgen.
Am Ende der Halle, wo das Licht am hellsten ist, türmen sich entsorgte Solar-Atemgeräte. Verdammt, selbst die Ausgestoßenen haben hier das Weite gesucht.
Ich beuge mich über eines der Atemgeräte, ein Metallkasten groß wie ein Minikühlschrank, und schalte es ein. Stotternd springt es an und surrt los. Ich ziehe mir die Maske vom Gesicht, um probeweise das Solargerät anzulegen. Die herausströmende Luft ist feucht, aber das Atmen funktioniert einwandfrei. Mir fällt ein Stein vom Herzen, den ich vorher gar nicht wahrgenommen hatte. Wenigstens das Ersticken bleibt uns vorerst erspart. Vor Bea habe ich den Zuversichtlichen markiert, aber nur, weil sie mir das zu brauchen scheint. Sie hat viel mehr verloren als ich und trotzdem nicht kapituliert. Jedenfalls noch nicht ganz.
Ich setze mir wieder die eigene Atemmaske auf und wickle mich enger in den Mantel meines Vaters.
Sollte er gehofft haben, es noch zum Vater des Jahres zu bringen, indem er mir das Leben rettet, dann hat er sich geschnitten. Jeder hätte das getan, das war ja wohl das Mindeste. Und wenn er mich jetzt so sehen könnte, würde ihm schon bewusst, dass eine einsame Flucht durchs Ödland nicht groß anders ist als die Todesstrafe. Wem mache ich hier überhaupt was vor? Das war ihm so was von klar.
Wenigstens bin ich noch auf den Beinen, was man von Jazz nicht behaupten kann, und wenn wir nicht bald was unternehmen, wird sie vor unseren Augen verrecken, denn ihr Bein können wir unmöglich alleine behandeln. Wenn wir es nur irgendwie bei lebendigem Leib nach Sequoia schaffen.
Ich sinke auf dem Boden zusammen und tippe mit dem Fuß gegen eins der Solar-Atemgeräte. Vielleicht sollte ich mich alleine auf den Weg machen und Hilfe holen. Bea könnte sich derweil um Jazz kümmern. Luft und Wasser hätten sie hier. Und ein sichererer Unterschlupf als dieser Bahnhof wird schwer zu finden sein.
Das ist wahrscheinlich die größte Schnapsidee meines Lebens, aber als ich Jazz schreien höre, wird mir klar, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt.
BEA
Als ich auf dem kalten Bahnhofsboden erwache, ist Quinn verschwunden.
»Petra.« Jazz versucht, sich aufzusetzen. Sie kreischt auf und bricht erneut auf den Fliesen zusammen. Ich rutsche näher an sie heran und schiebe Quinns Rucksack unter ihr Bein, um es hochzulegen und die Blutung zu stoppen. Dann bette ich ihren Kopf in meinen Schoß. »Ich dachte, das wäre ein Albtraum«, schluchzt sie wieder und in ihren Augen lese ich, dass nicht die Schmerzen daran schuld sind.
Nach ein paar Minuten hallt ein Geräusch durch den Bahnhof. »Quinn?«
»Komme schon!« Und da ist er wieder. »Ich hab einen Schrei gehört.« Er legt ein rostiges, verbeultes Solar-Atemgerät neben uns ab.
»Das war ich«, murmelt Jazz.
Er streicht ihr das Haar aus den Augen und kauert sich neben sie. »Wie schlimm ist es?« Behutsam legt er ihr die Hand auf die Stirn.
»Mir geht’s gut«, weicht sie ihm aus. Mit flatterndenLidern lässt sie sich wieder in die Bewusstlosigkeit fallen.
Quinn wendet sich an mich. »Da oben liegen tonnenweise Atemgeräte. Hier muss es von Ausgestoßenen nur so gewimmelt haben. Aber jetzt ist keine Menschenseele mehr da. Es wird euch nichts passieren.« Er setzt ein Lächeln auf.
»Was redest du da?« Ich schlucke mühsam.
»Hör mir erst mal zu, Bea.«
»Nein«, wehre ich ab.
»Wir können sie nicht quer durchs Land schleppen.«
»Du willst gehen?«
»Einer von uns muss Hilfe holen und ich lass dich da nicht allein
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