Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
wesentlich kleinere Pistole, die sie beim Abfeuern vielleicht nicht ganz so aus den Schuhen heben wird.
Jazz nimmt den Dummy erneut ins Visier und schießt. Diesmal macht sie nur einen kleinen Ausfallschritt nachhinten, fängt sich sofort und grinst triumphierend in die Runde.
»Getroffen!« Jazz zeigt auf das Knie des Dummys.
»Aber ich hab doch gesagt, den kleinen Finger«, erinnere ich sie.
»Hast du nicht! Du hast gesagt: Ziel aufs Bein.« Sie dreht sich zu Dorian um. »Stimmt doch, oder?«
Dorian legt seine Waffe nieder und kommt zu uns herüber.
»Jazz, hast du überhaupt schon mal geübt?«, fragt er.
Jazz nickt heftig, dann steckt sie ihren Daumen in den Mund und beginnt daran zu lutschen.
»Weißt du«, fährt Dorian fort, »wenn Petra mich hierher zum Trainieren schickt, dann geh ich manchmal runter zu den Bäumen und setz mich einfach zwischen sie. Hast du das auch schon mal gemacht?«
Wieder nickt Jazz.
»Und manchmal, wenn ich die Bäume dann so anschaue«, sagt Dorian, »dann frage ich mich, wie es wohl wäre, auf einen raufzuklettern und oben zu sitzen. Weißt du, einen ganzen Tag lang einfach nur dort zu sitzen.«
»Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«, fragt Jazz.
Dorian hält ihr demonstrativ sein Ohr hin.
»Das mache ich andauernd. Ich klettere in die Baumkronen und denke an all die Dinge, die es früher auf der Welt gab. Und ich denke an die Dinge, die ich früher hatte. Wie zum Beispiel meine Eltern.« An dieser Stelle unterbricht sie sich und schaut mich an. »Petra hat gesagt, dass deine Eltern tot sind.«
Mein Magen verkrampft sich.
»Sie werden seit Jahren vermisst.«
Dorian legt eine Hand auf Jazz’ Schulter, die andere auf meine. »Wie wär’s, wollen wir jetzt zu den Bäumen gehen?«, fragt er.
Jazz blickt auf die Pistole in ihrer Hand. »Ehrlich gesagt hab ich noch nie trainiert. Wenn die Armee kommt, weiß ich nicht, was ich machen soll. Dann stehe ich blöd da.«
»Wir könnten eine Weile zu den Bäumen gehen und danach einen extraintensiven Schießkurs abhalten«, schlage ich vor, woraufhin Jazz aufjauchzt und wie der Wind aus dem Raum düst.
»Sie ist noch so jung«, sage ich.
Dorian schüttelt den Kopf, nimmt mir das schwere Gewehr ab, das ich in der Hand halte, und legt es auf den Ständer.
»Das sind wir alle, Alina. Wir sind alle viel zu jung.«
QUINN
Ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber ich habe ein total schlechtes Gefühl – einen dumpfen Schmerz tief unten in der Magengrube. Beim Mittagessen heute habe ich es nicht fertiggebracht, Bea zu erzählen, wie widerlich der Präsident gestern Abend bei uns zu Hause wirklich war und wie sehr sich meine Eltern überschlagen haben, um das Date mit Niamh zu arrangieren. In der Nacht habe ich dann prompt geträumt, dass sie Bea abgeholt haben. An den Füßen haben sie sie weggeschleift, wobei ihr Kopf auf den Boden schlug – und ich konnte ihr nicht helfen. Und als sie sie schließlich aus der Kuppel gestoßen haben, musste ich von der Aussichtsplattform mit ansehen, wie sie draußen nach Luft rang.
Als ich vorhin zur Straßenbahnhaltestelle kam, stand Bea bereits mit fertig gepackter Tasche da und war einverstanden, dass wir einen Unterschlupf für sie suchen. Und jetzt sind wir unterwegs zu Alinas Onkel und Tante, den einzigen Leuten, die mir eingefallen sind, die uns dabei helfen können. Zum Glück hat Alina mal erwähnt, wo sie wohnt.
Als wir oben aus dem Aufzug treten, gehen wir nach rechts und halten nach der entsprechenden Wohnungsnummer Ausschau. Die Türen sehen alle gleich aus: weiß mit einem Buchstaben und einer Zahl über einem Türspion, wie fast überall in Zone 3.
»Wir suchen J 52«, flüstere ich Bea zu, die mit zusammengekniffenen Augen versucht, die Buchstaben unter den Türrahmen zu entziffern.
»Hier«, sagt sie und presst ihr Ohr gegen die Tür. »Bist du sicher, dass du die richtige Adresse hast?«
Ich nicke, trete zu ihr und drücke die Klingel. Wir warten eine Minute, und als niemand aufmacht, klingele ich noch mal. Wieder warten wir ein paar Minuten, doch nichts rührt sich. Ich klingele erneut.
»Die sind wahrscheinlich bei der Arbeit. Oder meinst du, sie sind verhaftet worden? Was machen wir jetzt?«, fragt Bea.
Ich habe keinen blassen Schimmer. Mein Zuhause kommt als Versteck für Bea nicht infrage, völlig indiskutabel, und auch Ferris und Riley würde ich sie keine Sekunde anvertrauen. Ich lasse mich zu Boden sinken und Bea hockt sich neben
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