Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
Schlafsäcke hervor und werfe sie ins Zelt.
»Das ist echt das kleinste Ding, das ich je gesehen hab.« Silas mustert das Zelt, und ich weiß, was er meint: Wir müssen uns verdammt eng aneinanderkuscheln.
»Ist halt so«, sage ich in einem Tonfall, als wäre es mir völlig egal, aber in Wirklichkeit gruselt es mich geradezu. Ich muss mich mit zwei Typen, die ich kaum kenne, in dieses Minizelt quetschen. In ein Zelt, das kaum für zwei Personen reicht.
»Na, zumindest werden wir da drinnen nicht nass.« Inger bückt sich und robbt hinein.
Silas und ich kriechen hinterher. Wir öffnen die Reißverschlüsse beider Schlafsäcke, um einen als Unterboden zu benutzen und den anderen als Decke. Dann legen wir uns hin, ich mich in die Mitte. Inger und Silas drehen mir sofort den Rücken zu, sodass ich mich nicht, wie ich’s gewöhnt bin, auf die Seite rollen kann, denn dann würde ich mit einem der beiden in Löffelchenstellung liegen. Also bleibe ich auf dem Rücken liegen und starre die Schatten über mir an. Und achte darauf, dass ich meine Beine zusammengepresst und meine Arme auf der Brust verschränkt lasse.
Nach ein paar Minuten fragt Silas: »Bist du sicher, dass es Alina gut geht?«
Ich weiß, dass ich eigentlich mit Ja antworten müsste, Ja, Alina geht’s gut, keine Panik , aber der Teil meines Hirns, der noch normal denken kann, schaltet sich just in diesem Moment ab, während der Teil mit der Gehirnerschütterung hochfährt. Was ich letztlich herausbringe, ist Folgendes: »Bist du etwa auch in sie verknallt?«
»Was?«, ruft Inger und versucht krampfhaft, ein Lachen zu unterdrücken.
»Oh Gott, was läuft denn bei dem verquer?«, stöhnt Silas.
Ich hab keine Ahnung, was ich darauf antworten soll, denn ich weiß ja, dass Silas ihr Cousin ist und dass ich klinge wie ein Spinner. Verlegen ziehe ich den Schlafsack hoch bis unter mein Kinn.
»Ich bin sechzehn«, sage ich, als würde das irgendetwas erklären.
Zum Glück lacht Silas. Er hätte mich auch schlagen können.
»Er ist sechzehn«, wiederholt Inger.
»Er ist ein Idiot«, sagt Silas. »Und jetzt lasst uns schlafen.«
BEA
Als wir aus der U-Bahn-Station in die Morgendämmerung hinaustreten, muss ich blinzeln, so sehr blendet mich das Licht. Auch die Kälte ist schneidend. Kleine Schneeflocken wirbeln in der Morgenluft herum und schweben lautlos zu Boden.
»Oh, wie schön!« Alina streckt ihre Hand aus, um ein paar Flocken aufzufangen, und schiebt ihre Atemmaske hoch, um sie zu schmecken.
Ich habe seit Stunden kein Wort gesagt. Keine von uns hat gesprochen. Wir sparen uns unsere Energie auf. Außerdem hätte ich auch gar nichts zu sagen gehabt.
Im Gänsemarsch marschieren wir eine schmale Straße entlang, die in eine noch schmalere Straße, fast schon eine Gasse, mündet. Ich habe nicht den leisesten Schimmer, wo wir sind. Ich bräuchte eine Karte, habe aber keine. Quinn hatte alles Notwendige in seinem Rucksack, weil er nicht wollte, dass ich mich unnötig abschleppe. Und in meinem Pad stecken keine Batterien mehr.
Maude und ich mussten uns ganz schön abkämpfen,um mit Alina Schritt zu halten. Wie sie es geschafft hat, sich so fit zu machen, ohne je von einem Aufseher oder einer Überwachungskamera erwischt zu werden, ist mir ein absolutes Rätsel. Ich beneide sie um ihren Mut, und gleichzeitig wurmt es mich, dass ich selbst nie auf die Idee gekommen bin, mich über die Regeln hinwegzusetzen. Ich war mein ganzes Leben lang total brav und folgsam. Die reinste Heilige. Und was hat es mir gebracht?
Wir sind die ganze Nacht durchgelaufen. Als Maude mal pinkeln musste, haben wir uns alle drei kleine Schlupfwinkel gesucht, um wenigstens für eine Minute alleine zu sein. Das war die längste Pause, die wir uns gegönnt haben.
Wir müssen darauf achten, alle drei im selben Tempo zu gehen, damit unsere Sauerstoffvorräte gleich lange halten. Obwohl das nicht klappen wird: Alina wird mit ihrer Flasche länger auskommen, sie ist trainiert, sie atmet langsamer.
Alina läuft jetzt mit gesenktem Kopf, biegt mal rechts, mal links ab und schaut allenfalls auf, um sich zu vergewissern, dass sie die richtige Straße genommen hat. Hin und wieder deutet sie warnend auf große Glasscherben oder rissige Schädel, die im Weg liegen.
Ich frage mich, ob Alina wohl an Quinn denkt. Vielleicht ist es ja sogar angenehmer, diejenige zu sein, die jemanden begehrt, als diejenige, die begehrt wird? Ich hab keine Ahnung. Und werde es vielleicht auch nie erfahren.
Maude
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