Breit - Mein Leben als Kiffer
verbringt sehr viel Zeit mit mir, und
obwohl sie schon über achtzig ist, fährt sie
immer noch Fahrrad, geht schwimmen und
macht Yoga. Zu meiner Familie gehören noch
ihre beiden älteren Schwestern, Else und Erika.
Else ist meistens krank, deshalb sehe ich sie
nicht sehr häufig. Erika ist die ruhigste von uns
allen und am glücklichsten, wenn sie mit ihren
zwei Katzen zusammen sein kann. Sie weiß
sehr viel über Religionen, Erzengel und die
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Geheimnisse des Jenseits und kann spannend
davon erzählen. Die fünfte Frau in meiner
Familie ist Katharina. Sie wohnt allerdings
schon seit einiger Zeit nicht mehr bei uns.
Bevor sie ihren Magister in Philosophie gemacht
hat, war sie ein Fotomodell. Am liebsten fährt
sie mit ihrem roten Cabriolet durch die Gegend.
Und schreibt Gedichte. Sie ist zwanzig Jahre
älter als ich und meine Halbschwester. Ich mag
sie trotz des Altersunterschieds sehr.
Als meine Mutter mir jetzt erzählt, dass sie
mit ein paar Freunden nachher zum
Kaffeetrinken kommt, kann ich es kaum
abwarten.
Kurze Zeit später sitzen wir zu acht im
Esszimmer, trinken Tee und essen den von
meiner Großmutter selbst gebackenen
Kirschkuchen.
Kurt, einer von Katharinas Freunden und ein
echter Abenteurer, erzählt begeistert, dass er
vor kurzem in Indien mit LKWs Güter über
Bergpässe gebracht hat und auch sonst
allerhand bei gefährlichen Aufträgen erlebt.
Michael und ich machen große Augen, und ich
stelle mir vor, wie Kurt über einem tiefen
Abgrund hängt und sich nur noch mit einem
Arm an einer morschen Brücke festhalten kann.
Kurt scheint schon auf der ganzen Welt
gewesen zu sein: Er kennt China und die
Chinesische Mauer, war bei den Aborigines in
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Australien, im Kongo, in Afghanistan, in
Kolumbien, und selbst in einer Favela in
Brasilien will er schon gearbeitet haben. Vor
lauter Staunen bekomme ich den Mund nicht
mehr zu.
Als er berichtet, wie er mit dem Motorrad die
Wüste durchquert hat, muss ich an Uwe
denken, der auch Motorrad fährt. Uwe ist ein
guter Freund meiner Mutter und gleichzeitig die
zwingende Voraussetzung für meine Existenz.
Er wohnt mit seiner Familie ein paar Dörfer
weiter nördlich von Wilster, ebenfalls in einem
wunderschönen Landhaus. Ich kann mich an
unzählige Abende erinnern, an denen Uwe mit
meiner Mutter an unserem langen, mit
Brandlöchern übersäten Holztisch im Esszimmer
gesessen und stundenlang hitzig über
Weltpolitik, Geschichte, Philosophie, Medien,
Kultur, Krieg und Frieden, Gut und Böse sowie
Richtig oder Falsch diskutiert hat.
Ich glaube, ich habe nirgends so viel gelernt
und werde auch nie wieder so viel lernen wie an
diesen Abenden, an denen ich mit
geschlossenen Augen und offenen Ohren auf
dem Sofa in der Ecke lag und so getan habe,
als würde ich schon schlafen. Dabei war ich die
ganze Zeit hellwach und ließ mir kein Wort
entgehen. Mal war es Uwes tiefe, mächtige
Stimme, immer wieder durchbrochen von dem
temperamentvollen Wortgewitter meiner
Mutter, mal ein müde geredetes und leicht
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beschwipstes beidseitiges Einvernehmen, das
mich in den Bann zog. Schon früh haben mich
solche Gespräche fasziniert, in mir die
Neugierde auf die Welt geweckt und vor allem
die Begeisterung für das Reden.
In meiner Klasse gelte ich als Labersack, und
dass ich noch nicht sitzen geblieben bin, liegt
allein daran, dass mir im Unterricht zu allem
etwas einfällt. Ich kann stundenlang reden. Das
habe ich wohl von meiner Mutter geerbt. Nicht
immer bin ich mit ihr einer Meinung, aber wenn
sie vom Buddhismus und der Rastafari-Kultur
erzählt und von verschiedenen Orakeln, höre
ich jedes Mal gebannt zu.
Auf einer Party von Uwe hat meine Mam
Anfang der achtziger Jahre meinen Vater
getroffen. Er ist gebürtiger Schweizer, zurzeit
lebt er in einem kleinen Dorf in Spanien. Im
Bücherschrank neben dem langen, dunklen
Tisch steht ein Buch, das er geschrieben hat.
Darin geht es um eine Kuh. Es soll sehr
erfolgreich gewesen sein. Ich selbst sehe
meinen Vater hauptsächlich in den Ferien.
Die Erwachsenen unterhalten sich den
ganzen Nachmittag so angeregt, dass sie
spontan zum Abendessen bleiben. Ich genieße
die große Runde und vor allem die Geschichten
von Kurt sehr.
Als ich nach dem Essen das Geschirr in die
Küche bringe, sehe ich den Abenteurer allein
draußen im Garten sitzen. Er zündet sich
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gerade eine Zigarette an, als ich die große Tür
aufmache
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