Breit - Mein Leben als Kiffer
Mutter sehe ich hindurch, in dem
festen Glauben, sie ist ein Hologramm. Das
Fragezeichen, mit dem ich durch die Welt
gegangen bin, hat sich in ein
Ausrufungszeichen verwandelt. Ich habe mich
auf eine Wahrheit festgelegt, nämlich dass die
Realität bloß eine Illusion ist. Und dass ich der
Einzige bin, der das durchschaut.
Irgendwann kommen Ärzte, doch ich
beantworte keine ihrer Fragen. Ich sehne mich
nur nach dem Land hinter dem Spiegel. Die
Sanitäter legen mich auf eine Trage. Endlich.
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Ein großes Glücksgefühl durchströmt mich:
Fremde Intelligenz wird mich von dieser
armseligen Erde fortbringen.
Aber die Männer fahren mich nicht in die
ersehnte Welt, sondern in die Notaufnahme der
Psychiatrie Eppendorf. Dort bindet man mich an
ein Bett und steckt mir eine Tablette zwischen
die Lippen.
Nur langsam komme ich zurück. Ich bin
ziemlich geschwächt, muss an den Tropf, weil
ich völlig dehydriert bin. Ich versuche, mich so
ruhig wie möglich zu verhalten. Das
Eingesperrtsein ist eine harte Strafe. Ich
schreie meiner Mutter entgegen: «Warum tust
du mir das an?» Ich hämmere gegen die Tür.
Will nur noch raus. Ein Richter entscheidet,
dass ich bleiben muss, auch gegen meinen
Willen. In wenigen Wochen werde ich achtzehn,
die können mich hier doch nicht einfach
festhalten! Ich bin empört. Die stecken doch
alle unter einer Decke.
Drei Tage später kommt der Richter erneut.
Diesmal willige ich ein, mich behandeln zu
lassen. Die Tür geht auf, und ich bekomme ein
Einzelzimmer auf einer anderen Station.
Ich liege viel im Bett, rede wenig. Meine Mam
kommt jeden Tag, auch meine Schwester und
meine Großmutter besuchen mich oft. Mir
gegenüber lassen sie sich nicht anmerken, wie
schockiert sie sind oder dass sie sich große
Sorgen machen. Sie sind einfach nur für mich
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da, sitzen bei mir oder erzählen mir von
draußen.
Schritt für Schritt helfen mir die Medikamente
in die Wirklichkeit zurück. Mit der Zeit fühle ich
mich besser. Ich lasse mich von Freunden
besuchen, spiele Tischtennis, Schach und
signalisiere allen so gut es geht, dass ich
wieder gesund bin. Immer noch leide ich aber
unter psychotischen Gedanken, bin mir sicher,
dass alle Patienten Agenten sind, die mich
testen sollen.
Selbst in der Klinik finde ich jemanden, mit
dem ich wieder kiffen kann. In meinen
verworrenen Gedanken gehe ich davon aus,
dass die Ärzte das extra so für mich arrangiert
haben, weil das zu meiner Genesung beiträgt.
Ist die Realität nur Illusion? Ich muss an die
Gleichung denken, die ich damals beim Splash
aufgestellt habe. Die Frage ist, ob ich den
Zettel zerknülle oder weiter versuche, die
Gleichung zu beweisen.
Nach vier Wochen komme ich frei und treffe
mich sofort mit den Jungs.
«Na Alter, geht's dir wieder besser? Biste
wieder fit?»
«Ja, alles klar!»
«Na, dann lass uns mal zur Feier des Tages
einen barzen.»
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Ein Pilot weiß ja auch, dass er abstürzen kann.
Hört er deshalb mit dem Fliegen auf?
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Epilog
Ich bin jetzt zwanzig. Inzwischen kiffe ich nicht
mehr. Vieles von dem, was ich damals erlebt
habe, habe ich heute vergessen. Vielleicht sind
die Erinnerungen aber auch zu schmerzhaft, um
einfach so wieder hervorgeholt zu werden.
Gerne denke ich an die Momente zurück, als
wir in milden Nächten oder auch bei Regen auf
einer Bank an der Alster gesessen und gekifft
haben. Es ist nicht die Tatsache, dass so viele
Menschen kiffen, die mich im Nachhinein
beschäftigt. Es ist vielmehr die Frage, warum
die Welt in einem Zustand ist, dass Kiffen für
viele so notwendig erscheint.
Ich erinnere mich, wie ich einmal mit meiner
Mutter im Garten herumschlenderte und sie zu
mir sagte: «Alles, was Drogen bewirken
können, kannst du auch selbst in deinem Kopf
bewirken.» Das stimmt nicht ganz. Häufig
denke ich aber, dass ich meine Jugend nicht
genutzt habe. Ich würde gern vieles können
und wissen, was zu lernen, zu leben, zu üben
ich verpasst habe. Ich habe nicht viel gelernt,
außer breit und damit zufrieden zu sein.
Eigentlich wäre ich jetzt am liebsten ein
unauffälliger Student, der viel gelesen hat und
anfängt, seinen ersten Film zu drehen. Ich bin
kein Opfer falscher Freunde oder so was. Wir
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haben uns alle gegenseitig in dieses Verhalten
hineingepresst.
Ich bin kein guter Lehrer, kein Vorbild. Ich bin
ein guter Freund der Kiffer. Das Wichtigste, was
ich zum Umgang mit dem
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