Breit - Mein Leben als Kiffer
dort aus den Heften der
Mädchen die Hausaufgaben abzuschreiben. Wir
haben im Pavillon Unterricht, einem langen, von
beiden Seiten durchsichtigen Glaskasten mit
vier Räumen. Wenn die Stunde vorbei ist,
öffnet einer von uns unauffällig das
Notausgangfenster. Schnell rennen wir dann
alle zum anderen Ende des Pavillons und
verstecken uns so lange hinter der Ecke, bis
alle Schüler draußen sind und die
Pausenaufsicht ihre Position eingenommen hat.
Jetzt kommt es auf das richtige Timing an:
Während der Lehrer in Richtung unseres
Klassenzimmers marschiert, springen wir über
das Tor zum Biogarten und schleichen gebückt
unter den Fenstern bis zu unserem Raum. Jetzt
müssen wir bloß noch den richtigen Moment
abpassen und warten, bis die Aufsicht auf dem
Rückweg ist, und schon haben wir unsere
Mission erfüllt und können durch den
Notausgang in den Klassenraum klettern.
Auch diesmal gelingt es. Wir schreiben die
Hausaufgaben ab und spielen ein paar Runden
Fingerkloppe, ein einfaches Kartenspiel, bei
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dem der Verlierer eine Anzahl von Hand- und
Fingerfolterungen über sich ergehen lassen
muss. Ich habe das Gefühl, dass Jan es heute
auf mich abgesehen hat. Wäre ja nichts Neues.
Wir mögen uns zwar, aber zwischen uns
herrscht eine unausgesprochene Rivalität um
die Gunst von Markus und Florian. Da Jan ein
wahres Sportass ist, liegt er häufig vorn. Bei
diesem Spiel kann man zeigen, ob man hart ist
und cool. Ich habe genug Gelegenheit dazu,
denn ich verliere ständig. Meine Hand glüht
feuerrot, als wir fertig sind, aber ich lasse mir
nichts anmerken. Als wir den Rückzug antreten
wollen, bemerken wir, dass unser Lehrer, Herr
Kittlitz, zum ersten Mal seit Klassengedenken
die Tür abgeschlossen hat und wir somit
unausweichlich in der Falle sitzen. Ich schlage
vor, dass wir uns verstecken und dann einfach
so tun können, als ob wir gerade mit den
anderen hereinkommen. Die Jungs halten das
für keine so gute Idee und versuchen, durch
den Biogarten zu fliehen. Doch da schließt Herr
Kittlitz auch schon die Tür auf. Ich verstecke
mich schnell hinter einem Vorhang, aber ein
paar von den Mädchen entdecken mich sofort
und fangen laut an zu rufen:
«Oh, guckt mal, da ist ja Amon.»
«Amon ist schon drin.»
«Hallo, Amon!»
Ich laufe rot an. Natürlich stellt Herr Kittlitz
mich zur Rede. Als er fragt, ob noch jemand
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dabei gewesen ist, kommen nach kurzem
Zögern auch alle anderen nach vorn. Zur Strafe
kriegen wir einen Klassenbucheintrag und zwei
Wochen Tafeldienst.
Das macht uns allerdings nicht das Geringste
aus, denn wir haben sowieso vor einiger Zeit
beschlossen, das Klassenbuch verschwinden zu
lassen. Wir haben inzwischen so viele Einträge,
dass wir herbe Konsequenzen befürchten: blaue
Briefe, Gespräche mit den Eltern, was weiß ich.
Das muss verhindert werden. Wenn das
Klassenbuch weg ist, haben die Lehrer kein
Beweismittel mehr.
Vor dem Kunstunterricht bietet sich eine gute
Gelegenheit. Das Buch liegt einsam und
verlassen im Pavillon, und alle warten, dass sie
in den Raum dürfen. Markus und Jan haben zu
viel Schiss. Da irgendwer die Nummer erledigen
muss, stecke ich es schließlich ein und
deponiere es, bis die Stunde vorbei ist, auf dem
Schrank vor dem Kunstraum. Nach dem
Unterricht schmuggle ich das Klassenbuch nach
draußen, und wir versammeln uns alle bei
einem Altpapiercontainer. Das Klassenbuch liegt
vor uns auf dem Boden.
«Los, lass uns schnell machen, es kann jeden
Moment ein Lehrer vorbeikommen.»
Viele treten ein paar Mal willenlos auf das
Klassenbuch, aber wieder traut sich keiner, das
Ding zu beseitigen. Es in diesem Zustand
zurückzubringen ist jedoch auch unmöglich.
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Ich weiß gar nicht, wovor die anderen ständig
Angst haben. Nicht nur bei dieser Geschichte,
sondern prinzipiell. Andauernd haben sie
«Bedenken» oder einfach zu viel Schiss. In
Wirklichkeit sind sie jedoch viel schlauer als ich
und lassen andere für sich die Drecksarbeit
machen. Das war bisher auch bei den
Telefonstreichen meistens so. «Los, mach du
mal, Monsen, du kannst das doch am besten» –
und ich Idiot glaub denen das auch noch
immer. Mir dämmert, dass sie meine Dummheit
ausnutzen, doch ich will keine Schwäche
zeigen. Also nehme ich das Klassenbuch und
werfe es kurzerhand ins Altpapier. Alle sind
erleichtert, aber auch schockiert, weil sie sich
nicht sicher sind, ob wir nicht doch wegen
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