Brenda Joyce
ausschließlich an seine Tochter
richtete. »Der Mann hat Nerven, was?«
Francesca starrte zu Boden. Ihr war
schwindelig, und sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Die Reform des
Polizeiapparates stellte eines der brennendsten Probleme der Stadt dar. So war
es schon seit vielen Jahren, seit Theodore Roosevelt den Posten als
Commissioner innegehabt und damit begonnen hatte, gegen das System von Mauschelei
und Korruption vorzugehen. Sämtliche New Yorker – Reformisten wie sie selbst
ebenso wie Liberale, Geistliche und Reporter – warteten mit angehaltenem Atem
darauf, ob Bragg die berüchtigte Behörde an die Kandare nehmen würde. Francesca
glaubte an ihn. Wenn es überhaupt irgendjemandem gelingen würde, die New Yorker
Polizeibehörde zu reformieren, dann war es Bragg, ein Mann
mit Rückgrat und Charakterstärke, einer, der schnell handelte und unermüdlich
kämpfte. »Wie konnte er nur dreihundert Beamte auf einmal degradieren?«,
fragte sie.
»Wir haben uns nicht sehr ausführlich
unterhalten können. Er sagte, morgen würde alles in der Zeitung stehen. Er ist
übrigens hier; wir sind zusammen heraufgekommen«, sagte Andrew.
Francesca blieb beinahe das Herz stehen. Als
sie bemerkte, dass ihr Vater sie forschend anblickte, senkte sie den Kopf. Sosehr
sie Andrew Cahill auch bewundern mochte – sie musste vorsichtig sein, denn
immerhin sprach er über alles mit seiner Frau. Und eines der Themen, die die
beiden viel zu häufig diskutierten, waren ihre Kinder. Connie, Francescas
Schwester, hatte vier Jahre zuvor Lord Neil Montrose geheiratet, und vor kurzem
war nun auch Evans Verlobung bekannt gegeben worden. Damit blieb nur noch
Francesca übrig. Sie hegte keinen Zweifel daran, dass sie das Hauptthema bei
den Gesprächen ihrer Eltern bildete, und es würde nur noch schlimmer werden,
wenn Evan erst einmal verheiratet war.
»Müssen wir heute Abend unbedingt über die Polizeibehörde reden?«,
erkundigte sich Julia mit fester Stimme. »Andrew, wir sollten White begrüßen.
Francesca, du bleibst besser hier.« Francesca versteifte sich unwillkürlich.
»Das ist ungerecht, Mama«, sagte sie.
Julia ignorierte ihren Einwand. »Ich fürchte, sie könnte
irgendwelche ausgefallenen Ideen von White aufschnappen, Andrew. Ehrlich
gesagt, jetzt, da ich einige der Gäste hier gesehen habe, bin ich mir nicht
mehr sicher, ob es eine gute Idee war, ihr zu erlauben, mitzukommen.«
»Papa?«, wandte sich Francesca protestierend an ihren Vater. »Ausnahmsweise
stimme ich deiner Mutter einmal zu«, erklärte Andrew und ergriff Julias Arm.
»Mir hat es von Anfang an nicht gefallen, dich heute Abend mitzunehmen. Wir
werden bald wieder aufbrechen.«
Francesca starrte ihren Eltern nach, als sie
auf den distinguierten, extravagant gekleideten Gentleman mit dem vollen weißen
Haarschopf zuschritten, der in der Mitte des Tanzbodens Hof hielt. Plötzlich
entdeckte sie eine überaus streng gekleidete Frau mit kurz geschnittenem Haar
in der Menge – die Frau wirkte ziemlich männlich und zudem sehr intelligent.
Francesca fragte sich, wer sie wohl sein mochte.
Als sie einen dunkelhaarigen Gentleman in einem schwarzen Smoking
sah, der neben White stand und sich mit einer Dame unterhielt, musste Francesca
unwillkürlich blinzeln. Der groß gewachsene Mann mit dem olivfarbenen Teint und
den blitzenden Zähnen kam ihr irgendwie bekannt vor. War das nicht Braggs
Halbbruder, Calder Hart?
»Das haben Sie sehr gut weggesteckt«, ertönte plötzlich Braggs
Stimme hinter ihr.
Sein Atem strich über ihren
Nacken und ließ sie erschauern. Sie wandte sich um und blickte in seine
goldbraunen Augen. Er verbeugte sich und versuchte sein Lächeln zu verbergen.
»Guten Abend, Miss Cahill«, sagte er höflich.
»Bragg.« Sie gab sich Mühe, gleichgültig zu klingen, und versuchte
zugleich, ihr eigenes Lächeln zu unterdrücken.
»Cahill.« Rick Bragg nickte Evan zu, der
plötzlich wie aus dem Nichts neben Francesca aufgetaucht war. Der Zeitpunkt war
denkbar schlecht gewählt, und sie hätte ihrem Bruder am liebsten einen Tritt
versetzt. Stattdessen warf sie ihm einen erbosten Blick zu, den Evan aber
ignorierte.
»Was führt Sie hierher, Bragg?«, erkundigte sich Evan ein wenig
kühl.
Bragg lächelte. »Das Übliche – eine
Einladung.« Sein Blick wanderte wieder zu Francesca hinüber und glitt über ihr
Gesicht.
Sie war sich bewusst, dass sie errötete,
während sie ihn anlächelte. Bragg trug eine weiße Smokingjacke zu einer schwarzen
Hose. Sein
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