Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
Vom Netzwerk:
hielten, das alles wirkte grauenvoller als jede Drohgebärde. Ein Kinderweinen ertönte und verstummte wieder.
    Einer der Männer zuckte daraufhin zusammen und schaute ungläubig um sich, so, als habe er erst in diesem Augenblick begriffen, was hier geschah. Ächzend bückte er sich nach einer zerbrochenen Deichsel und bedeutete den Leuten, ihm Platz zu machen. Diese rückten von ihm ab und sahen teilnahmslos zu, wie er mit dem Holz vorwärts taumelte.
    Ein Ungar stellte sich ihm in den Weg. Lachend wich er der geschwenkten Deichsel aus, einmal, zweimal, plötzlich zog er seinen Säbel und rannte ihn dem Mann in den Bauch. Dieser, als habe er sich an der Deichsel versengt, stieß sie von sich, strauchelte und fiel zu Boden. Auf der Seite liegend, wühlte er den Schnee auf, gab jedoch keinen Laut von sich. Der Ungar trat einen Schritt zurück und grätschte die Beine. Mit beiden Händen umfaßte er den Säbel, holte aus und ließ ihn mit fürchterlicher Wucht auf das Genick des Verwundeten niedersausen.
    Das dumpfe Geräusch weckte Konrad aus seiner Erstarrung, und wie von selbst setzten sich seine Füße in Bewegung. Darauf bedacht, nicht auszugleiten, pirschte er sich gesenkten Kopfes langsam zum Brunnen. Als er sich über den Rand beugte, zögerte er einen Moment und sah sich um, dorthin, wo inmitten der anderen die Mutter und die Schwestern stehen mußten. Verzeiht, murmelte er hastig. Dann stieg er hinunter – ein kleiner Junge, dem auf dieser Welt nichts geblieben war als der Wunsch, sich möglichst tief zu verkriechen.
    Zwei Jahre später, an einem Tag vor Maria Verkündigung, hatte ihn der Graf mit einem Auftrag in ein nahe gelegenes Dorf geschickt. Seit einer reichlichen Woche taute es, und Konrad, bis über die Knöchel im Morast watend, kam nur mühsam voran. Der Himmel war verhangen, der heftige Wind änderte ständig die Richtung. Wie Lumpen schleuderte er Raben umher, die nach Junghasen Ausschau hielten. Ließ er einmal nach, war ein fauliger Geruch in der Luft; er stammte von den vielen Tierkadavern, die der geschmolzene Schnee freigegeben hatte.
    Von vorn kam ein gleichmäßiges Rauschen. Wenn der Pfad in eine Mulde führte, wurde es leiser, stieg er nach oben, schwoll es an. Das mußte der Lärchenbach sein (oder die Beeke, wie man ihn schon einen halben Tagesritt stromabwärts nannte), ein Flüßchen, das man in heißen Sommern an manchen Stellen überspringen konnte, im Frühjahr und mitunter auch im Herbst jedoch kaum wiedererkannte. Wollen doch mal sehen, mein Kleiner, wie du dich diesmal wieder aufgeplustert hast, dachte Konrad ungefähr und beschleunigte seinen Schritt.
    Was er dann sah, entlockte ihm einen Laut des Entzückens: Der ›Kleine‹ war fast dreimal so breit wie in der trockenen Jahreszeit. Lehmbraune Wasser tosten heran, warfen Eisstücke und Äste ans Ufer, um diese im nächsten Augenblick erneut mit sich zu reißen. Von der Brücke, die hier gestanden hatte, war lediglich ein Pfahl übriggeblieben. Eine Wasseramsel saß darauf und schaute knicksend und flügelschlagend auf das Brodeln unter ihr. Anscheinend unerschüttert ragte eine alte Weide aus den Fluten; hörte man aber genau hin, konnte man ihr Stöhnen vernehmen, wenn sie von heranwirbelndem Treibgut getroffen wurde. Hinter ihr hatte sich über die ganze Breite des Baches ein entwurzelter Baum festgeklemmt – eine Art Wehr, an dem sich größeres Geröll staute.
    Nachdenklich blickte Konrad zum gegenüberliegenden Ufer. Was wollte er eigentlich hier? Ein paar Meilen stromaufwärts gab es einen Steg, der so gebaut war, daß er dem Hochwasser standhielt. Wenn er den benutzte, würde er zwar erst am folgenden Tag heimkehren können, doch das war nicht weiter schlimm. Schließlich verlangte niemand von ihm, daß er sein Leben aufs Spiel setzte … Es ist völlig unmöglich, entschied er, als sich plötzlich eine Stimme in ihm meldete, die befahl: Du mußt an dieser Stelle hinüber und an keiner anderen sonst!
    Sein Herz fing an zu klopfen, so laut, daß es das Brausen des Wassers übertönte, und für einen Moment meinte er, in den Strudeln die verstümmelten Körper der Mutter und Schwestern zu sehen. Warum muß es sein, wollte er fragen, fühlte aber sogleich, daß ihm an der Antwort nichts mehr lag. Er schloß die Augen, bekreuzigte sich, und ohne sich noch länger zu besinnen, kletterte er die Böschung hinab … In einer winzigen Bucht auf der anderen Seite kam er wieder zu sich. Bis zum Hals steckte er in

Weitere Kostenlose Bücher