Brennaburg
Merseburger, die im Jahr zuvor gegen ein böhmisches Heer gesandt und von diesem vollständig aufgerieben worden waren, gab manchem zu denken. Eine Sache war es, nachts über die Saale zu ziehen und schlafende Bauern zu überfallen, eine ganz andere, über einen ungewissen Zeitraum hinweg in der Fremde Krieg zu führen. War es vernünftig, sich darauf einzulassen, lediglich auf das Versprechen hin, dafür einst ein Stück Acker zu erhalten? Nein, entschieden viele und beschlossen, vorerst zu bleiben, wo sie waren.
Ein ungewöhnlich harter Winter bewog sie jedoch bald zu einem Sinneswandel. Ende November setzte auf einmal Frost ein, so heftig, daß binnen kurzem die Bäche vereisten. Hierauf schneite es eine Woche lang, und als es aufhörte, lag der Schnee fast zwei Ellen hoch. Die Kälte wurde von Tag zu Tag grimmiger …
Die Wintermonate, sie sind das Gräßlichste in dem an Widrigkeiten ohnehin nicht armen Dasein eines Unbehausten; nur wer gesund ist, darf hoffen, daß er sie übersteht. Hungrig und frierend hockt er in seiner unterirdischen Höhle, stiert aus entzündeten Augen auf sein schimmelndes Schuhwerk und fährt bei jedem Laut draußen hoch. Geräusche, von denen er nicht weiß, was sie bedeuten, erschrecken ihn ebenso wie plötzliche Stille. Er verabscheut den Anblick der Kameraden, aber bereits bei dem Gedanken, allein zu sein, sträuben sich ihm vor Grauen die Haare. Er haßt das ewig qualmende Feuer, dessen Rauch ihn zum Husten reizt, und betet gleichzeitig, daß es niemals verlöschen möge.
Auch sonst lebt er in einem ständigen Zwiespalt. Seine Sorge, entdeckt zu werden, rät ihm, sich in der Erde zu verkriechen und sich ausschließlich von den angehäuften Vorräten zu ernähren. Das Bedürfnis nach frischer Kost, nach Luft und Bewegung, treibt ihn jedoch zuweilen ins Freie, wo er im Schnee Spuren hinterläßt. Die Furcht drängt ihn, sich seine Opfer unter den Schwachen zu suchen, aber genau das darf er nicht. Denn der Räuber braucht die Armen, da er ohne sie für das, was außerhalb des Waldes vor sich geht, blind und taub wäre. Gezwungen, sich an die Wohlhabenden und Mächtigen zu halten, tut sich für ihn ein weiterer Widerspruch auf. Um bei Überfällen auf die Höfe der Grundherren erfolgreich zu sein, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich mit möglichst vielen Männern seines Schlages zu vereinigen. Große Banden indes fordern ihre Vernichtung heraus, weil gerade sie es sind, auf welche die Grafen unablässig Jagd machen. Kleine Banden wiederum stehen im Winter vor der Wahl, entweder zu darben oder ihr angestammtes Gebiet zu verlassen und in Gegenden zu rauben, wo sie auf ihren Ruf keine Rücksicht nehmen müssen. Begegnen sie dort ihresgleichen, heißt es kämpfen.
Wer glaubt, daß er ein solches Leben nicht länger ertragen kann, wird sich irgendwann bemühen, für einige Zeit bei einem Verwandten, Freund oder ehemaligen Nachbarn unterzukommen. Er wird dann bald erfahren, daß er seine Lage nur wenig verbessert hat. Zwar sitzt er jetzt im Warmen, doch der Gedanke, daß ihm sein Aufenthalt zur Falle werden kann, verläßt ihn keinen Augenblick. Lauscht er dem Geschrei der auf dem Hof spielenden Kinder, fragt er sich, ob ihnen nicht ein unbedachtes Wort entschlüpft sein mochte. Stellt ihm die Hausfrau mit mürrischer Miene das Essen hin, verdächtigt er sie, daß sie auf Verrat sinnt. Geht er im Dunkeln hinaus, um seine Notdurft zu verrichten, argwöhnt er, daß ihn jemand gesehen hat. Legt er sich zum Schlafen nieder, bangt er, daß es die Schergen sind, die ihn wecken werden.
Auch seine Wirtsleute, denen er längst eine Bürde ist, verzehrt die Angst, so daß sie ihn schließlich anflehen, sie endlich von seiner Gegenwart zu befreien. Also schleicht er in den eisigen Wald zurück, und trifft er dort noch seine Gefährten an, darf er sich glücklich preisen. Zumeist wird er die Höhle jedoch leer vorfinden; denn da die anderen befürchten, er sei gefangen und unter der Folter zum Verräter geworden, haben sie sich inzwischen ein neues Versteck gesucht. Dann ist sein Schicksal besiegelt.
So, unablässig dazu verurteilt, zwischen Übeln der schlimmsten Art wählen zu müssen, verrinnen für den Räuber die Tage. Trotzdem flüchten immer wieder Menschen in die Wälder, Leibeigene vor allem, die der Bedrückungen überdrüssig sind. Im Mai, wenn die Nächte auf einmal so warm sind, die Lämmer auf den Wiesen herumtollen und es so einfach scheint, sich zu ernähren, kommen sie in
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