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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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beschweren durfte. Erst viel später verstand er, daß es seine mitleidige Geste gewesen war, die ihn fast das Leben gekostet hätte.
    Wenn ich groß bin, zahle ich es ihnen heim, hatte er anfangs oft gedacht, diese Hoffnung aber bald verloren. Denn wie sollte er groß werden, da sie doch offenbar beschlossen hatten, ihn vorher zum Krüppel zu schlagen? Und als habe sich auch sein Körper damit abgefunden, hatte er irgendwann aufgehört zu wachsen.
    Trotzdem war er nicht zerbrochen, hatte sich nicht, wie so manches Kind auf diesem Hof, ertränkt, zu Tode gestürzt oder durch einen raschen Schnitt in den Hals von allen Leiden befreit. Ein alter Mann hatte ihn davor bewahrt, ein Schweinehirt, der einst Gefangener der Ungarn gewesen war und über sie wunderliche Dinge zu berichten wußte. Statt ihn mit ihren fürchterlichen Säbeln zu zerhacken, hatten sie ihn nämlich bloß betrunken gemacht, in ein Mönchsgewand gesteckt und gezwungen, vor ihnen zu beten. Der Wein und die Angst hatten ihm zu der Einsicht verholfen, daß den Ungarn vermutlich nicht so sehr daran gelegen war, fremde Bräuche zu studieren, als vielmehr, einmal nach Herzenslust lachen zu dürfen. Und so hatte er ihnen einen Priester vorgespielt, wie es sicherlich nirgendwo auf der Welt einen gab: ein grimassenschneidendes Wesen, das fuchtelnd ums Feuer tanzte oder heulend und kläffend auf allen vieren kroch.
    Fortwährend brüstete er sich, daß er über die Gabe verfüge, diese gefürchteten Wilden milde zu stimmen, und bezeichnete sie sogar als seine Freunde. Man dürfe nur keine Angst vor ihnen haben, müsse ihnen zutraulich und freimütig gegenübertreten, dann sei mit ihnen bestens auszukommen. Lediglich sauertöpfische Leute, die keinen Spaß verstünden und allzusehr an ihrem Eigentum hingen, wären ihnen ein Greuel, und das, setzte er augenzwinkernd hinzu, könne er ihnen nicht einmal verübeln.
    Überzeugt, daß auch sie ihn nicht vergessen hatten und ihn bei ihrer Wiederkehr um eine weitere Probe seiner Kunst bitten würden, war er unermüdlich bestrebt, diese noch zu verfeinern – sehr zum Vergnügen Konrads, der, längst entschlossen, in ihre Dienste zu treten, in den albernen Sprüngen und Schreien des Hirten so etwas wie eine Bürgschaft baldiger Erlösung sah. Und so harrten sie beide Jahr für Jahr der Ankunft dieser lustigen Gesellen: Der Mann, weil er noch einmal im Leben im Mittelpunkt stehen wollte, der Knabe, weil er sich von ihnen das Ende seiner Qualen erhoffte.
    Die Zeit verstrich, der Alte starb darüber, und Konrad, ganz allein mit seiner Sehnsucht, begann allmählich zu bangen, daß die Ungarn für immer ausbleiben könnten. Da geschah es, daß an einem Februartag des Jahres neunhundertdreiunddreißig eine Schar Bewaffneter in den Hof sprengte. Mit ihren knielangen Panzern und ihren verhüllten Gesichtern, aus denen die bereiften Augenbrauen hervorstachen, boten sie einen furchterregenden Anblick. Ohne abzusitzen, rief ihr Anführer den Meier zu sich, stieß ihm mit dem Stiel seiner Peitsche an die Brust und verkündete laut, daß die Ungarn im Lande seien. Dann befahl er, die Männer antreten zu lassen. Nachdem sie Aufstellung genommen hatten, musterte er sie angewidert und bemerkte fluchend, daß er auf diese Ansammlung siecher Krüppel und verhungerter Zwerge getrost verzichten könne. Dennoch winkte er elf zu sich heran.
    Auch der Meier und sein Gefolge mußten mit. Bevor er wegritt, ordnete er an, die Keller zuzumauern, und drohte den Knechten und Mägden mit dem Strafgericht, falls sie sich in seiner Abwesenheit an den dort lagernden Vorräten vergriffen. Die Hörigen und alle, die eine eigene Wirtschaft besaßen, sollten unterdessen ihr Vieh holen und danach dem Gesinde bei der Übersiedlung in eine wenige Meilen entfernte Burg helfen.
    Ratlos schauten ihm die Leute hinterher, und als sich ihre Aufregung gelegt hatte, entschieden sie, erst einmal den morgigen Tag abzuwarten. Denn wer wußte schon genau, ob diese Teufel aus dem Süden tatsächlich so bald die Gegend heimsuchen würden. Selbst der Geharnischte hatte auf die Frage, wo der Ungar im Moment stünde, mit einem Schulterzucken geantwortet und hämisch hinzugefügt, daß der Ungar niemals stehe, sondern unablässig reite und deshalb jederzeit überall auftauchen könne. Verhielt es sich aber so, bestand erst recht kein Grund, sich mit der Flucht zu beeilen, denn dann konnten sie einen ebenso unterwegs erwischen.
    Ohnedies zog es niemanden in die unwirtliche und

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