Brennaburg
Brandenburg würde alle Stämme bis hinauf zu den Gebirgen entmutigen und daher seine Aufgabe, sie zu überwachen, mit einem Schlag ungemein erleichtern.«
Gespannt schauten alle zur Tür, so, als erwarteten sie, daß sie im nächsten Moment aufgehen werde und Sachsen in den Raum stürmen würden.
»Doch das Gastrecht!« rief jemand nach einem Augenblick der Stille aus. »Achten sie es nicht ebenso wie wir? Und auch ihre Oberen müssen schließlich auf ihren Ruf bedacht sein.«
»Sei sicher, daß er seinen Ruf zu schützen wissen wird«, antwortete Ratibor düster lächelnd. »Im übrigen, sie mögen sein, wie sie wollen, in einer Hinsicht unterscheiden sich die meisten von uns. Ich hatte einmal ein längeres Gespräch mit dem derzeitigen König, zwei Jahre, bevor sein Vater starb. Ein kluger, liebenswerter Mann, frei von Dünkel und Niedertracht: das war damals mein Eindruck. Wir unterhielten uns über die Grundsätze des christlichen Glaubens, wobei sich zeigte, daß ich darüber besser Bescheid wußte als er, der er der Schrift unkundig ist. Während ich redete, erstarrte er plötzlich und betrachtete mich so verstört, wie wir wohl ein Tier betrachten würden, das, anstatt zu zwitschern oder zu bellen, unverhofft zu sprechen anfängt. Ich nahm zuerst an, er sei gekränkt, weil er sich bloßgestellt fühlte, begriff aber bald, daß die Ursache seiner Verwirrung eine andere war. Und da verstand ich, was es bedeutet, wenn sie uns Barbaren nennen.«
Er verschränkte die Arme, neigte den Kopf und fuhr fort: »Man kann seinen Falken inniger lieben als seine Kinder und wird in ihm trotzdem niemals ein ebenbürtiges Wesen sehen. Ein Bär, der Kunststückchen vollführt, versetzt uns in Begeisterung; wir sind entzückt von ihm, überhäufen ihn mit Beweisen unserer Zuneigung – und dennoch bleibt er für uns ein Bär. Genauso geht es denjenigen mit uns, die uns ehrlichen Herzens einige Vorzüge zubilligen. Sie rühmen unsere Gastfreundschaft und die Schönheit unserer Frauen, preisen unsere fröhliche Lebensart. Doch was immer ihnen an uns gefällt, es hebt uns nicht zu ihnen empor. In ihrem tiefsten Inneren verachten sie uns; auch die Aufrichtigen und Gutmütigen bilden da keine Ausnahme. Solange wir uns nämlich nicht zu ihrem Glauben bekehren, sind wir in ihren Augen Verlorene, für die es keinen großen Unterschied macht, ob sie dem, was die Christen als die ewige Verdammnis bezeichnen, einige Jahre früher oder später anheimfallen. Und darum dürfen wir ihnen nicht blindlings trauen. Wenn wir herausbekommen wollen, was wir von ihnen zu erwarten haben, dürfen wir niemals vergessen, daß ihre Bräuche und Sitten nur für ihresgleichen gelten. Wir müssen uns fragen, was ihnen nützt, und danach unser Verhalten einrichten. Denn keine andere Rücksicht als die auf ihren Vorteil bestimmt ihr Handeln uns gegenüber.«
»Was also schlägst du vor?« erkundigte sich Pribislaw, worauf das Gemurmel, das nach Ratibors Rede eingesetzt hatte, sofort erstarb.
»Das liegt, meine ich, auf der Hand. Bestellen wir ihnen, daß wir den göttlichen Willen erforscht hätten, und daß uns Triglav die Reise zu ihnen untersagt habe – natürlich nur, sofern du es für möglich hältst, daß er sich uns heute entgegen seiner sonstigen Gewohnheit einmal durch meinen Mund offenbart hat.«
Ratibor verbeugte sich knapp und sprach weiter: »Eine solche Antwort können sie schwerlich als Brüskierung mißdeuten. Ohnehin bin ich davon überzeugt, daß sie uns vorerst nicht überfallen werden; wären sie dazu imstande, hätten sie es längst getan, anstatt mit dieser sonderbaren Einladung unseren Argwohn zu wecken. Wir versichern ihnen, daß wir uns nach wie vor dem König Heinrich geleisteten Eid verpflichtet fühlen und wie bisher zinsen werden – was wir in der Tat ja vorhaben. In der Frist, die wir dadurch gewinnen, sollten wir unsere Anstrengungen verdoppeln, mit den Obodriten ein Bündnis zu schließen. Wächst der Widerstand gegen den König, dürfen wir nicht zögern, eine Erhebung zu wagen. Denn daß die Sachsen uns verderben wollen, daran zweifle ich nun nicht mehr. Kommen wir ihnen also zuvor.«
»Und wenn ihr König siegt?«
»Ob sie uns dann angreifen werden? Irgendwann gewiß, doch wohl kaum sofort. Das hängt von mancherlei Umständen ab, nicht zuletzt davon, wie er siegt. Aber was immer geschieht, wir sollten es ihnen nicht zu leicht machen. Oder ist es euch gleichgültig, wenn es einst von uns heißt, wir wären
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