Brennaburg
sich der Fürst seiner oft als Gesandten bediente. Als einziger von ihnen war er schon am sächsischen Hof gewesen.
Er hatte die Vereinbarung mit den Sachsen stets befürwortet und auf die Hitzköpfe unter den Großen mäßigend eingewirkt. Um so mehr hatte es Pribislaw getroffen, daß ausgerechnet Ratibor seine Entscheidung in Zweifel gezogen hatte. Man hatte sich bereits erhoben, als er sich plötzlich räusperte, über den Rücken seiner eigentümlich schmalen Nase strich und in das Scharren der Stühle hinein sagte: »Sie werden uns gefangensetzen, vielleicht sogar töten.«
Einige, die das nicht gehört hatten, strebten weiter dem Ausgang zu. Die anderen erstarrten und nahmen, als drücke sie eine unsichtbare Kraft nieder, wieder Platz. Der Fürst spürte sie ebenfalls, diese Kraft, es kostete ihn Mühe, stehenzubleiben. In der Regel hätte er den Einwurf mit einem bissigen Scherz abgewehrt; bei Ratibor, der den Ruf genoß, daß er niemals nur so daherredete, verbot sich das indes. Er rief die Männer zurück, wartete, bis es völlig still war, und fragte: »Weshalb, meinst du, sollten sie das tun?«
»Was könnte sie daran hindern?« entgegnete Ratibor, seine Worte mit einer hochmütigen Schulterbewegung begleitend.
Der Fürst umfing die anderen mit einem Blick; auf ihren Gesichtern zeigte sich Ratlosigkeit. Zorn stieg in ihm auf, darüber, daß es dieser sonderbare Mensch vermocht hatte, sie mit einer einzigen Bemerkung zu verwirren, und weil er fühlte, daß er kurz davor stand, die Beherrschung zu verlieren, versuchte er doch noch, sich mit Spott zu behelfen: »Hab Nachsicht mit unserer Einfalt und erkläre dich deutlicher. Wir sind nun einmal nicht so gebildet wie du.«
Ratibor nickte zustimmend und entgegnete: Es sei das natürliche Recht eines Gefangenen, zu fliehen, wann immer sich dazu die Möglichkeit böte; niemand erwarte ernstlich von ihm, daß er sie ungenutzt verstreichen lasse. Ebenso sei es das natürliche Recht des Unterworfenen, sich seines Jochs zu entledigen, sobald er sich stark genug wähne. Ihm abgepreßte Eide würde er nicht leisten, um sie zu halten, sondern um Zeit zu gewinnen, sie zu brechen. Die für ihre Verschlagenheit bekannten Sachsen dachten hierüber kaum anders, stellten sich aber auf einmal so, als erhofften sie sich von wertlosen Schwüren dauerhaften Frieden. Sei so viel Treuherzigkeit nicht verdächtig?
»Verdächtig?«
Pribislaw lachte schrill.
»In Anbetracht der Bedrängnis, in der sich ihr König gegenwärtig befindet, bin ich eher geneigt, darin ein Zeichen ihrer Schwäche zu sehen. Doch was immer sich hinter ihrer Forderung verbergen mag: Hat man jemals gehört, daß ein Feind – sei er so heimtückisch, wie man sich nur einen ausmalen kann – sämtliche Fürsten eines Volkes gefangengenommen oder gar umgebracht hätte, nachdem sie zuvor von ihm als seine Gäste empfangen und bewirtet worden sind?«
»Hörte man jemals davon, daß sich sämtliche Fürsten eines Volkes freiwillig in die Gewalt ihres Feindes begeben hätten?« Und ohne eine Miene zu verziehen, fügte Ratibor hinzu: »Woher nimmst du überdies die Gewißheit, daß er uns vorher bewirten wird?«
Gequälte Heiterkeit kam auf.
»Nehmen wir an, deine Befürchtung ist begründet«, äußerte Miloduch, Oberhaupt der Rezanen, widerwillig schmunzelnd. »Doch wer sorgt danach dafür, daß die Sachsen pünktlich ihren Tribut erhalten? Uns machen es die Bauern schon schwer, Fremde müßten an ihrem Starrsinn verzweifeln. Sie wären gezwungen, den Tribut von jedem einzelnen Gefilde, vielleicht sogar von jedem Dorf einzutreiben.«
»Und was sagt dir, daß sie das schreckt? Bei den Sorben gelingt es ihnen schließlich auch.«
»Mag sein, mag sein …«, meldete sich erneut Pribislaw zu Wort. »Aber warum sollten sie gerade uns, die wir ihnen Jahr für Jahr ohne Verzug und in vereinbarter Höhe den Zins entrichtet haben, dergleichen antun? Sie haben keinerlei Anlaß, uns stärker zu mißtrauen als jedem anderen. Außerdem –«
»Dein Sohn? Vielleicht genügt ihnen dieses Pfand nicht mehr. Vielleicht wünschen sie eine zusätzliche Bürgschaft. Vielleicht verfolgen sie noch weitere Zwecke; ich kenne sie nicht. Über ihre Absichten weiß ich nicht mehr als jeder von uns. Sicher ist nur, daß wir die einzigen sind, die dem neuen Legaten gefährlich werden könnten, jetzt, da er nicht auf die Hilfe seines Königs rechnen kann, weil dieser mit seinen eigenen Angelegenheiten befaßt ist. Der Fall der
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