Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
Vom Netzwerk:
irre! Töte mich, wenn es dir beliebt, doch laß nicht zu, daß wegen meines törichten Stolzes so viele edle Männer elendiglich zugrunde gehen. Denn dies kann nicht dein Wille sein. Ich werde dir alles opfern, was ich besitze – nur rette uns!«

2
    D IE S ONNE STAND nun im Süden, und mit jeder Meile, die sie zurücklegten, spürte Ratibor, wie die Spannung in ihm einer fast trunkenen Freude wich.
    Als sie gestern die Elbe durchquert hatten, wäre er noch um ein Haar umgekehrt, das jenseitige Ufer hatte er so widerstrebend betreten, als sei es das zum Reich der Toten, eingeschlafen war er mit dem Gedanken, daß er vielleicht als Gefangener aufwachen würde. Magdeburg! Sooft er den Namen des verfluchten Ortes hörte, gefror ihm das Blut; jetzt hatte er unter einem seiner Dächer sogar genächtigt. Doch schon kurz, nachdem sie ihn am Morgen verlassen hatten, war ihm leichter ums Herz geworden. Nichts erinnerte mehr daran, daß man sich in Feindesland befand. In den Dörfern hatten ihnen Frauen und Kinder zugewinkt, Bettler hatten sich vor ihnen verneigt, und selbst das Gebell der Hunde hatte freundlich geklungen. Der warme Herbsttag, das Glitzern der Altweibersommerfäden, die zarten Dunstschleier über den abgeernteten Feldern, der kichernde Ruf eines Grünspechtes, alles unterwegs wirkte so vertraut auf ihn, daß es ihm zuweilen schien, als wolle sich die Natur für einen guten Ausgang der Reise verbürgen.
    Nicht einmal das zerquälte Gesicht Pribislaws, der während des Rittes wohl noch kein einziges Mal von seiner Seite gewichen war, vermochte seine Stimmung zu trüben. Der Alte war übel dran; bis zuletzt würden ihn Ungewißheit und Schuldgefühle plagen. Zumindest das blieb ihm, Ratibor, erspart. Er hatte nichts zu bereuen. In den vergangen Wochen hatte er eine Zeitlang erwogen zu fliehen – zu den Obodriten, den Pommern oder Polen –, dies aber schließlich verworfen. Was sollte er dort? Trat ein, was er befürchtete, würde man ihn fragen, weshalb es ihm nicht gelungen sei, die anderen von dem Unternehmen abzubringen. Ließ man sie jedoch unbehelligt ziehen, würden ihm die Seinen die Heimkehr verwehren. Ein besitzloser Flüchtling, verachtet und beargwöhnt, das würde sein Schicksal sein. So hingegen bestand wenigstens noch Hoffnung. Sie war winzig und es trotzdem wert, sich mit ganzer Kraft an sie zu klammern.
    Graf Thietmar, der ihnen mit einem Dutzend Kriegern das Ehrengeleit gab, ließ sich von der Spitze zurückfallen, lenkte sein Pferd neben das Ratibors und setzte den Helm ab. »Gott ist mein Zeuge«, sagte er, sich die verschwitzten Locken aus der Stirn streichend, »ich sterbe fast vor Durst. Geht es dir nicht ebenso?«
    »Nein, nicht sehr«, entgegnete Ratibor.
    »Oh, ich dachte nicht an Wasser«, raunte ihm Thietmar im Tonfall eines Verschwörers zu. »Heute abend wird man uns mit lothringischem Wein bewirten; sieben Fässer ließ sich Graf Gero kommen. Ich kann es kaum erwarten.« Er schnalzte mit der Zunge.
    »Was ist eigentlich mit euch?« fügte er unvermittelt hinzu. »Du und deine Freunde, ihr seid so schweigsam.«
    Ratibor hob die Brauen. »Worüber, wünschst du, sollen wir sprechen?«
    »Verzeih meine Neugier, doch es fiel mir auf«, erwiderte Thietmar lachend.
    »Nun, ich meine, wir sind wachsam.«
    »Wachsam?«
    »Wegen der Räuber«, erläuterte Ratibor, den Grafen nicht aus den Augen lassend. »Wir wissen, daß es hier sehr viele gibt.«
    »Ja, wahrhaftig«, bestätigte Thietmar. »Daß sie die Hölle verschlinge! Doch sei unbesorgt: Keine dieser Banden ist groß genug, um es mit uns aufnehmen zu können; immerhin sind wir mehr als vierzig Bewaffnete … Wie steht es denn bei euch damit?«
    »Es gibt, aber nicht so viele.«
    »Und nun glaubt ihr wohl, daß es in unseren Wäldern vor Räubern nur so wimmelt? Ich versichere dir, so ist es nicht!«
    Thietmar schüttelte belustigt den Kopf.
    »Meist sind es ganz andere Räuber, die uns zu schaffen machen«, fuhr er fort und berichtete, daß seine Tauben beinahe täglich von einem Habicht heimgesucht würden. »Meine besten Bogenschützen lauern ihm auf, wir haben es mit Fallen versucht, doch umsonst. Die Vögel wagen sich aus Angst vor ihm schon nicht mehr allein ins Freie. Noch niemals habe ich einen Menschen so gehaßt wie diesen Habicht.«
    Während Ratibor verständnisvoll lächelte, überdachte er das gerade Gehörte. Ein Slawe sagte nicht in Gegenwart Fremder, daß er vor Durst stürbe, nicht einmal dann, wenn es sich

Weitere Kostenlose Bücher