Brennaburg
Siedlungen entstieg, die man allerdings nicht zu Gesicht bekam. Und es herrschte prachtvolles Wetter: Der Frost hielt an, die Sonne schien, es war klar und windstill.
Für die Mehrzahl war es das erste Mal, daß sie das Gebiet eines fremden Stammes betraten. Das Ungewöhnliche dieses Ereignisses schwächte alle vorherigen Regungen ab, sogar die Gier nach Beute. Sie fühlten sich frei – frei von Furcht, denn die Landschaft sah nicht viel anders aus als zu Hause; frei von Haß – mit den Hevellern hatte man noch nie etwas gehabt; und frei von Hunger und Kälte, denn man verfügte ja über alles Notwendige. Wegen der Wagen ging es nur langsam vorwärts, es wurden Scherze gemacht und Vermutungen ausgetauscht, was einen wohl erwartete.
»Die Nachbarn machen es uns zu leicht«, sagte Heinrich. »Wenn das so weitergeht, sind wir schon zu St. Andreas vor der Brandenburg.«
Als Otto das hörte, prüfte er bei jedem Gewässer die Festigkeit der Eisdecke. Auch sonst entfernte er sich oft von den anderen. Mal pirschte er sich mit einer Schleuder an Rebhühner heran, verfolgte einen Hasen oder bot sich zu Kundschafterdiensten an. Mit besonderer Vorliebe schien er Dinge zu tun, die gar nicht zu seinem Alter paßten. Einmal sah er von weitem Kinder, die mit Stöcken und Steinen das dünne Eis auf Pfützen zerstörten. Ohne etwas zu sagen, ritt er zu ihnen hin und beteiligte sich so lange an dieser Beschäftigung, bis man ihn wegholte. Sein Vater sah mit undurchdringlicher Miene an ihm vorbei, sagte jedoch zunächst nichts; dann aber drängte er sich an ihn heran und flüsterte: »Ich möchte dich schlagen.« Er schaute sich lächelnd um und fügte hinzu: »Einige dieser Männer werden dein törichtes Benehmen nicht vergessen und noch davon reden, wenn du schon lange König bist. Das solltest du wissen.«
Gegen Mittag des folgenden Tages erreichte die Vorhut ein Dorf – zwei Dutzend Blockhäuser, die halbkreisförmig einen Teich umstanden. Heinrich befahl Halt, die Wagen rückten nach, es kam jedoch zu keinem Stau. Die Gespräche verstummten, niemand stürmte los oder traf Anstalten dazu. Erwartungsvoll und zugleich ratlos blickten alle auf den König, der ebenfalls zu zögern schien. »Wer es vor Neugier nicht aushält, kann mal nachsehen, was die Nachbarn gerade kochen«, sagte er zu seiner nächsten Umgebung. »Drängt euch aber nicht auf.« Und zu Siegfried: »Fang du an. Doch paß auf.«
»Womit und worauf?«
»Auf die Leute, worauf sonst«, entgegnete Heinrich gereizt und nur die zweite Frage beantwortend.
»Ja, und? Sollen Sie –«
»Sie sollen ihnen die Vorräte lassen. Und den Frauen nichts antun. Bis jetzt war alles ruhig, und meinethalben kann es auch noch ein paar Tage so bleiben.«
Siegfried senkte den Kopf und setzte sich in Marsch. Ungefähr zwanzig Berittene folgten ihm sogleich, auch vom Troß lösten sich Leute. Insgesamt waren es rund fünfzig Männer, die sich reitend oder rennend auf die Gehöfte zubewegten.
Im Dorf rührte sich nichts. Aus den Häusern quoll Rauch, Menschen waren aber nicht zu sehen. Siegfried hielt auf halbem Wege plötzlich an, versammelte die anderen um sich und erklärte: »Der König will, daß dem Dorf nichts geschieht. Nicht an die Vorräte gehen, nicht an die Frauen …«
»Was sollen wir dann hier?« fragte Heimo, keineswegs herausfordernd, sondern ehrlich verwundert.
Der Graf wollte ihm scharf erwidern, doch das Unklare der empfangenen Anweisung lähmte ihn so, daß er sich zu einem Schulterzucken hinreißen ließ.
Als sie noch einen Steinwurf vom ersten Haus entfernt waren, öffnete sich dessen Tür, und ein alter Mann trat heraus. Er trug einen Fellmantel, der ihm bis zu den Füßen reichte, stützte sich auf einen Stock und blickte ihnen regungslos entgegen.
»Ihr Ältester«, raunten einige Männer fast gleichzeitig. Keiner wußte so richtig, warum, doch nach dieser Feststellung wurden alle langsamer und blieben schließlich stehen.
Lediglich Heimo war weitergeritten, er drehte sich nun um und rief: »Der Jüngste ist es offensichtlich nicht. Ich sehe aber keinen Grund, deswegen hier Wurzeln zu schlagen.« Es gab Gelächter, und sogleich ging es wieder vorwärts.
Siegfried kam als erster an, er sprang vom Pferd, nickte dem Mann zu und sagte mit belegter Stimme: »Ich grüße dich. Du bist der Älteste dieses Dorfes?«
Es klang wie eine Anspielung auf Heimos humorvolle Bemerkung, daher wurde hinter ihm leise gelacht.
»Verstehst du unsere Sprache?«
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