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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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Liub?« erkundigte sich Semil.
    »Er holt die Leute.« Ratibor zeigte in Richtung Wiese.
    »Da steht ihm ja ein hartes Stück Arbeit bevor«, sagte Semil schmunzelnd. »Warum bist du denn nicht selbst gegangen?«
    Plötzlich wurde er ernst und streckte den Arm mit der Fackel vor, so daß sie Ratibors Gesicht beleuchtete. »Welche Leute meinst du?«
    »Alle.«
    »Unsere auch?«
    »Ja.«
    »Was nimmst du dir heraus!« brauste Semil auf. »Verfügst über meine Männer, ohne mich um Erlaubnis zu fragen?«
    Die anderen schickten sich ebenfalls an, ihrer Entrüstung Ausdruck zu verleihen, doch Ratibor ließ ihnen keine Zeit, sich mit der dafür erforderlichen Luft zu versehen. »Denkt von mir, was ihr mögt«, sagte er schneidend, »aber hört mir vorher noch einen Augenblick zu.« Dann teilte er ihnen seine Beobachtungen mit.
    »Nehmen wir an, deine Vermutung trifft zu«, meldete sich eine Stimme aus dem Hintergrund. »So erkläre mir doch, warum uns der Sachse ausgerechnet auf seinem eigenen Hof ans Leder will.«
    »Weil er darauf baut, daß gerade das kaum jemand für möglich halten wird. Zudem hat er uns hier alle beisammen, wie in einem Sack. Er braucht ihn nur noch zuzubinden.«
    »Und die Gabeln?«
    Ratibor zögerte. »Nun ja, er wollte mein Mißtrauen beschwichtigen, und da passierte es ihm vielleicht, daß er weiter ging, als er ursprünglich beabsichtigt hatte. Vielleicht meinte er auch, die Mehrzahl von uns sei bereits so betrunken, daß sie nicht mehr fähig ist, die Gabeln zu bedienen.«
    »Vielleicht! Vielleicht!« Semil stöhnte auf. »Vielleicht sind das alles aber auch nur Hirngespinste? Oder kommt so etwas bei dir nicht in Betracht? Bald ist er zurück, und was muß er da sehen? Daß sich sein Hof in ein Heerlager verwandelt hat. Wie willst du ihm das erklären?«
    »Das laß meine Sorge sein.«
    Ratibors Worte schienen sich noch nicht von seinen Lippen gelöst zu haben, da gellte von jenseits der Palisade ein langgezogener Schrei zu ihnen herüber. Ungewöhnlich laut am Anfang, verlor er schnell an Kraft, um dann jäh abzubrechen.
    Die Männer fuhren zusammen. Wohl keiner von ihnen hätte beschwören können, ob diesen Schrei ein Mensch oder ein Tier hervorgebracht hatte, was er jedoch bedeutete, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. So schrie man nicht um Hilfe und nicht, um zu warnen, so schrie man nicht vor Zorn oder Schreck, und sogar der heftigste Schmerz erzeugte nicht diese Art Schrei. So schrie ein Wesen, bevor es starb, noch mit allen Fasern dem Leben verhaftet und schon dabei, es unwiderruflich zu verlassen.
    »Liub …«, murmelte einer der Sorben.
    Ratibor straffte sich. »Löscht die Fackeln, nehmt die Gabeln und verteilt euch zu zweit entlang der Palisade. Wer etwas bemerkt, alarmiert die anderen; ansonsten handelt jeder selbständig. Ich hatte unseren Leuten draußen befohlen, Wachen aufzustellen. Sofern sie es getan haben, müßten inzwischen alle auf den Beinen sein. Gelingt es ihnen, sich zu uns durchzuschlagen, werden wir gemeinsam einen Ausbruch wagen.«
    »Du«, wandte er sich an Miloduch, »holst die dort drin; sag ihnen, daß wir die Nordseite besetzen. Und nun vorwärts!«
    Während Miloduch die Tür aufriß, drehte sich Ratibor um, stürmte, von den anderen gefolgt, zum Brunnen und ergriff eine Gabel. Mit langen Sätzen rannte er auf den Garten zu, warf sich gegen den Zaun, trat ihn nieder und rannte weiter. Feuchte Zweige peitschten ihm das Gesicht. Neben ihm prallte jemand gegen ein Hindernis, stürzte und rappelte sich leise fluchend wieder auf.
    Als die Palisade vor ihm auftauchte, war nur noch einer der Männer an seiner Seite. »Wie ist es, bleiben wir zusammen?« fragte er keuchend. Es war Semils Stimme.
    Ratibor antwortete ihm nicht. Er bohrte seinen Fuß in das weiche Erdreich des Dammes, erklomm ihn und spähte über den Rand der Befestigung. Modergeruch stieg ihm in die Nase. Es war fast nichts zu erkennen, denn der Mond hatte sich hinter einem Wolkenschleier verkrochen. Allein das schwarze Band des Grabens hob sich ein wenig aus der Finsternis hervor.
    Er ging ein Stück, kehrte um, stockte, lauschte und stierte ins Dunkel, bis ihm die Augen zu tränen begannen. Die Gabeln, warum die Gabeln! Für alles hatte er im Laufe des Abends eine Erklärung gefunden, dafür noch nicht. Er befühlte seine Gabel. Sie hatte zwei eiserne Zinken, die mit dem Schaft durch eine Manschette verbunden waren. Sogar in den Händen eines Schwächlings konnte sie sehr wirkungsvoll

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