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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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sein, war doch der Streifen zwischen Palisade und Graben so schmal, daß es nur eines kleinen Stoßes bedurfte, um eine dort aufgestellte Leiter umzustoßen. Im Graben, das hatte er bei der Ankunft gesehen, steckten Pfähle; selbst wer aus geringer Höhe herabfiel, würde sich daher verletzen.
    Hatte der Graf dies nicht bedacht? Nein, das paßte nicht zu ihm. Oder hatte er so viele Krieger aufgeboten, daß er Verluste nicht zu scheuen brauchte? Doch wenn er ohnehin beabsichtigt hatte, seine eigene Burg förmlich zu stürmen, war der Aufwand, mit dem er seine Gäste in Sicherheit zu wiegen versucht hatte, nicht mehr recht zu verstehen.
    Leitern, die auf dem Grund des Grabens oder gar am jenseitigen Ufer aufgestellt wurden, war mit den Gabeln freilich nicht beizukommen. Gegen sie gab es ein anderes Mittel: Man hieb, sich mit dem Schild vor Pfeilen oder Speeren schützend, die obersten Sprossen durch. Auf diese Weise würden er und seine Gefährten imstande sein, gleichzeitig an die dreißig Leitern unbrauchbar zu machen. Wegen ihrer Länge würden für den Transport und das Aufrichten einer einzigen von ihnen ungefähr vier Männer erforderlich sein, was bedeutete, daß der Graf, falls er den Widerstand der Verteidiger noch vor dem Morgen brechen wollte, mit wenigstens zweihundert Leuten angreifen mußte.
    Nein, diese Möglichkeit schied ebenfalls aus, nicht zuletzt deshalb, weil dies zuviel Aufsehen hervorrufen würde. Und daran konnte ihm schwerlich gelegen sein. Wiederum – ohne eine Art Leiter war die Palisade nun einmal nicht zu überwinden.
    Eine Art Leiter! durchzuckte es Ratibor. Er reckte sich, langte über die Brüstung, und schon bald ertasteten seine Finger einen metallenen Haken sowie etwas Geflochtenes. Er packte es, spürte Schwere, spießte seine Gabel in den Boden und zog mit beiden Händen weiter. Eine Strickleiter holperte über die Pfosten. Er warf sie auf den Damm und ging, mit einem Arm über die Brüstung greifend, auf Zehenspitzen nach links. Zwei Schritte, drei, vier, fünf – da war es wieder! Diesmal hob er die Schlaufe kurz an, schob sie über den Haken und ließ los. Ein dumpfes Poltern ertönte.
    Er drehte sich um und lief zurück. Unterwegs überlegte er. Entdeckte man die Strickleitern früh genug, konnte man, selbst wenn sich die Angreifer bereits anschickten, sie hochzuklettern, noch mindestens drei Stück mit dem Schwert durchhauen. Bemerkte man sie indes nicht, würde beim Erscheinen des Feindes, der ja ohne die erwarteten Leitern kam, zunächst einmal Verwirrung entstehen. Hatten seine Krieger den Graben durchquert, befanden sie sich im toten Winkel der Befestigung, und während man drinnen noch rätselte, wie sie hochgelangen wollten, würden bereits die ersten von ihnen über die Palisade klettern. Ja, so sollte es sich wohl abspielen!
    Eine Gestalt taumelte ihm entgegen. »Ratibor?«
    »Ja.«
    »Ich bin's, Semil.«
    »Sie haben ringsherum Strickleitern aufgehängt«, raunte ihm Ratibor zu. »Überzeuge dich selbst!« Er nahm Semils Hand und führte sie über die Brüstung.
    »Verdammt!« ächzte Semil. »Was jetzt? Zerschneiden wir sie?«
    »Nein, wir hängen sie ab, das geht rascher. Zuvor sagen wir aber den anderen Bescheid.«
    Geduckt preschte er davon. »Ich bin es!« stieß er beim Laufen mit unterdrückter Stimme hervor, ging, immer langsamer werdend, weiter und meldete sich ein zweites Mal.
    »Du?« fragte es endlich aus dem Dunkel. »Was machst du hier?«
    Flüsternd berichtete er den beiden Männern von seiner Wahrnehmung, worauf sich der eine sofort zum nächsten Nachbarn begab.
    Darauf bedacht, nicht neben den schmalen Damm zu treten, hastete Ratibor wieder zurück. Er hatte die Stelle, an der er die Gabel gegen die Palisade gelehnt hatte, noch nicht erreicht, als ein Geräusch an sein Ohr drang, das wie ein fernes Jaulen klang und ihn, indem es anschwoll, an die Rufe einer sich nähernden Schar Wildgänse erinnerte. Er blieb stehen, wandte sich um und bemerkte in der Richtung, in der sich die Schlafstätte der Gefolgsleute befinden mußte, ein eigentümliches Glitzern, so, als seien dort zahllose Fackeln entzündet worden. Ah, sie kamen ihnen also zu Hilfe! Ein Stein fiel ihm vom Herzen.
    Plötzlich vereinigten sich die zerstreuten Flämmchen zu einem gelbroten Licht, das die Äste mehrerer Bäume und sogar den Giebel eines Hofgebäudes der Finsternis entriß. Eine Feuerzunge bohrte sich in den Nachthimmel und schwankte im Rhythmus des Windes funkensprühend hin

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