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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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sofern sich ihre Kameraden weiter so aufopferungsvoll schlagen. Es gibt keinen, der nicht daran denkt. Die unmenschliche Beherztheit, mit der sich die kleine Schar der Geharnischten in das Heer hineinmäht, ist zu grauenvoll. Jeder kann sich ausrechnen, wann die Reihe an ihm ist. Und so stehlen sich die ersten davon. Sie kommen nicht weit, werden sofort niedergestreckt. Andere versuchen es wieder, einige mit Erfolg. Ein Teil derjenigen Leute, der die leichte Reiterei umklammert, merkt, was hinter seinem Rücken vorgeht. Er will die Fliehenden aufhalten, was zur Folge hat, daß es den Reitern gelingt, den Würgegriff zu sprengen. Sie ziehen sich zurück, werfen die Pferde wieder herum und wollen erneut angreifen. Sie finden aber niemanden mehr, der sich verteidigt.
    Es ist nicht bloß die Furcht vor dem Tod, nicht die vermeintliche oder tatsächliche Möglichkeit, ihm vielleicht doch noch zu entgehen, die eine Panik erzeugt. Eine Panik bricht aus, sobald der einzelne an der Kraft des Ganzen zweifelt und daher plötzlich den Eindruck hat, er müsse die Last des Gefechtes allein tragen, ja, der Gegner habe es nur auf ihn abgesehen. So unsinnig diese Empfindung auch sein mag, befällt sie viele, bricht sie einem Heer unweigerlich das Rückgrat. Von einem solchen Gefühl der Ohnmacht überwältigt, werfen die Heveller wie auf Kommando ihre Waffen weg und rennen schreiend in das Luch hinein. Obwohl sie noch keiner verfolgt, verschränken manche die Hände über dem Kopf.
    Die Sachsen haben haltgemacht. Es ist schon ein ungewöhnlicher Anblick, wie sich dieses große und tapfer kämpfende Heer in ein Gewimmel von Wesen auflöst, denen nur noch die Richtung ihrer Flucht gemeinsam ist. Wie sie laufen, rutschen, zappeln, sich verzweifelt anstrengen, ein Versteck zu finden, man kann das alles so wunderbar beobachten. Dabei haben sie kaum Aussichten, sich zu retten, denn dort, wo sie hinrennen, gibt es keinen Wald, lediglich hier und da Sträucher oder kleine Baumgruppen, die gefrorene Tümpel säumen. Hier ist ein Mann, der sich in dem hohlen Stamm einer Weide verbergen will. Er steckt den Kopf in das Loch, verschwindet bis zum Gürtel, strampelt sich jedoch wieder heraus, stemmt sich erneut hoch, zwängt sich diesmal zuerst mit den Füßen hinein, duckt sich. Ihn wird man mit Keulenschlägen gegen den Stamm peinigen, danach mit Ästen langsam totstechen.
    Zwei stürzen in ein Gebüsch; gleich darauf springt der eine wieder heraus und schlägt nach hinten, wahrscheinlich, weil ihn sein Kamerad festgehalten hat. Nach einer Weile erscheint auch der zweite, läuft ein Stück, macht auf einmal kehrt, hetzt zu dem Busch zurück und bleibt, von einem Bein auf das andere tretend, davor stehen. Man kann förmlich sehen, wie es ihn innerlich zerreißt. Endlich gibt er sich einen Ruck und schlüpft abermals in den Strauch, wo er später von Speeren durchbohrt sterben wird.
    Geschwind wie ein Ameisenlöwe im Sand, hat sich der andere inzwischen in eine Schneewehe gewühlt. Er wird durch das Luftloch an den Boden gespießt, sein herausschnellender Körper mit Äxten zerhauen werden.
    Aber noch ist es nicht soweit. Im sächsischen Heer wird herzhaft gelacht. Die Genugtuung über die gewonnene Schlacht und die Erleichterung, überlebt zu haben und ohne schlimmere Wunden geblieben zu sein, stimmen die Krieger ausgelassen und großmütig. Käme jetzt der Befehl zum Abzug, sie würden ihn ohne Bedauern befolgen.
    Doch dieser Befehl kommt nicht, und damit entscheidet sich das Schicksal der geschlagenen Heveller gerade während der wenigen Augenblicke, in denen sie noch hoffen dürfen. Denn je länger die Männer diesen hinterherschauen, je selbstverständlicher ihnen dabei Sieg und Unversehrtheit werden, desto unbegreiflicher scheint ihnen die ausgestandene Angst. Hatte man nicht gemeint, gegen einen starken und gefährlichen Feind gekämpft zu haben? Was dort stolpert und sich verkriecht, kann doch wohl aber unmöglich stark und gefährlich gewesen sein. Kein Zweifel, man ist getäuscht worden.
    Und so weckt der Anblick der flüchtenden Massen erst Scham, dann Verachtung und Haß gegenüber jenen, denen es gelang, einen in Schrecken zu versetzen – schließlich das Verlangen, sie dafür büßen zu lassen. Die Berittenen gehen an den Flügeln vor, treiben die Fliehenden zu Haufen und metzeln sie nieder. In der Mitte streunen die Fußkrieger umher, stöbern Versteckte auf und fallen sie mit tapsigen Bewegungen an. Es wird gelacht und gejohlt,

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