Brennaburg
und ein langer Zug von Menschen strömte heraus. Das sächsische Heer bildete einen Halbkreis, der die Besiegten aufnahm und sich sofort hinter ihnen schloß. Nachdem Vieh, Met und Waffen abgeliefert worden waren, traten die Kinder sowie die Frauen mit Kleinkindern beiseite und ließen sich widerstandslos wegführen. Die anderen Erwachsenen sanken auf die Knie.
Kaum jemand hatte erwartet, daß die Heveller so vertrauensselig in die Falle gehen würden. Doch da knieten sie nun im Flockenwirbel, und auf ihren Häuptern sammelte sich der Schnee. Als Siegfried das Zeichen gab, traten die ausgewählten Krieger vor und schoben sich zwischen die Gefangenen. Durch deren Reihen lief ein deutliches Erschauern. Viele senkten die Köpfe und schlossen die Augen. Manche weinten.
Unter den zuschauenden Sachsen erhob sich beklommenes Gemurmel. Das Blutbad vom Vortag hatte jede Spur von Haß in ihnen getilgt, und so schützte sie jetzt nichts vor der Erkenntnis, daß das, was gleich geschehen sollte, schmutzig und ehrlos war. Selbst diejenigen, deren Gewissen schon völlig abgestumpft war, empfanden Unbehagen. Den Hevellern nützte das freilich nichts; es hatte für sie sogar zusätzliche Qualen zur Folge. Denn die Unlust der mit der Henkersarbeit beauftragten Krieger führte dazu, daß die meisten von ihnen ihre Opfer nicht mit dem ersten Streich töteten.
Einige Tage später begann das Heer mit der Belagerung der Brandenburg. Als sie nach einem reichlichen Monat kapitulierte, mußte sich der Fürst zur jährlichen Zahlung eines Zinses verpflichten sowie einen Sohn und eine Tochter als Geiseln stellen.
ZWEITES KAPITEL
1
D IE ERSTE H ÄLFTE des Jahres neunhundertneunundzwanzig verlief für König Heinrich außerordentlich erfolgreich. Wenige Wochen nach der Eroberung der Brandenburg bezwang er die Daleminzer. Hierauf entließ er einen Teil des Heeres und gönnte dem anderen eine Ruhepause. Sowie die Schneeschmelze einsetzte, wurden wieder Boten losgeschickt, und gemeinsam mit einem bayrischen Aufgebot zog er gegen Prag, wo der böhmische Fürst Wenzel bald die Waffen streckte. Damit waren zwei Völker abhängig gemacht worden, von denen man befürchten mußte, daß sie im Falle eines ungarischen Angriffs zu aktiven Feinden werden würden.
Ein weiteres Heer fiel unterdessen in den Norden des Slawenlandes ein. Trotz des schwierigen Geländes glich dieser Feldzug eher einem Spazierritt. Von der Niederlage der Heveller beeindruckt, leisteten die Obodriten und Wilzen kaum Widerstand und erklärten sich eilig zur Entrichtung von Tributen bereit.
Die Leichtigkeit, mit der er innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit ein derart großes Gebiet unterworfen hatte, erstaunte den König zunächst. Doch wie es einem mit angenehmen Dingen zu gehen pflegt – seine Verwunderung hielt nicht lange vor. Als sich im Sommer desselben Jahres die wilzischen Redarier erhoben und andere Stämme mitrissen, hatte sich Heinrich bereits an die Vorstellung gewöhnt, daß die Slawen hauptsächlich deshalb existierten, um durch regelmäßige Tribute seine Macht zu stärken. Erbittert darüber, daß diese Auffassung von den Betroffenen offenbar nicht geteilt wurde, ließ er den Aufstand mit harter Hand niederschlagen.
Während sich diese blutigen Ereignisse vollzogen, befand sich der junge Otto in der Pfalz Quedlinburg. Hier genas er von Verletzungen, welche er sich bei der Erstürmung der daleminzischen Festung Gana zugezogen hatte. Es waren keine schlimmen Blessuren (ein Speer hatte ihn am Oberschenkel gestreift, ein geschleuderter Stein zwei Rippen gebrochen), doch natürlich war damit der Krieg für ihn zu Ende. Anfangs machte die Heilung rasche Fortschritte, dann aber kam ein schweres Fieber hinzu, das ihn bis nach Ostern ans Bett fesselte. Als er wieder aufstehen konnte, trugen Bäume und Sträucher bereits Blätter, es roch nach Erde und frühen Blüten, und von dem feuchtwarmen Boden stiegen Lerchen in einen dunstigen Himmel. Auf seinen Stock gestützt, strich er ziellos in der Nähe der Pfalz umher. Am Rande eines Birkenwäldchens wurde er müde. Er setzte sich auf einen Stein und blickte einem Rotmilan nach, dessen schaukelnder Flug den Eindruck erweckte, als seien ihm die Flügel zu schwer.
Solange Otto zurückdenken konnte, hatte ihn der Frühling stets erregt und froh gestimmt. An alles, was in der Natur geschah, schienen Versprechen geknüpft zu sein. Die sanft zwitschernden Lerchen, der übermütige Schrei eines taumelnden Kiebitzes, der
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