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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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zarte Duft der Veilchen im noch welken Gras – dies war nicht einfach da, sondern bedeutete etwas, eine Zukunft vielleicht, die auf geheimnisvolle Weise schön sein würde. Auch diesmal stellte sich jene Erregung ein, doch das Glücksgefühl, das er sich von ihr erhoffte, blieb aus. Es war, als fände sie in seiner Seele keinen Halt. Auf einmal war eine Lerche nichts weiter als ein Vogel, der nach oben flatterte, der Ruf eines Kiebitzes nur noch ein Laut wie andere auch, das Veilchen neben seinen Füßen eine Blume, die bald niemandem mehr auffallen würde. Er machte einen letzten Versuch, hieb sein Messer in den Stamm einer Birke und trank den herausquellenden Saft. Plötzlich fror ihn. Er verschmierte den Einschnitt sorgfältig mit Erde und humpelte danach wieder zurück.
    Einige Tage später besuchte ihn Bischof Bernhard. Er brachte Brun, Ottos jüngsten Bruder, mit, der sich während der folgenden Jahre in Utrecht unter der Obhut des dortigen Bischofs Balderich auf den geistlichen Stand vorbereiten sollte. Als es ans Abschiednehmen ging, hob der vierjährige Knabe den Kopf, legte das Gesicht in betrübte Falten und sagte klagend: »Otto, nicht wahr, du bist ja so arm.« Wahrscheinlich war ihm von der Mutter oder den Schwestern nahegelegt worden, dem ›armen Otto‹ Mitgefühl zu bezeigen. Dieser, obgleich er Kinder nicht besonders mochte und mit dem Kleinen bisher kaum Umgang gehabt hatte, begann daraufhin hemmungslos zu weinen.
    Bernhard ahnte, daß die Situation für den jungen Mann nur ein Vorwand gewesen war, Empfindungen zu äußern, die ihn bedrückten und die er anders nicht ausdrücken konnte. In seinem Bestreben, sich um die königliche Familie verdient zu machen und seinen noch immer geringen Einfluß auf sie zu vergrößern, empfahl er Otto eine vierzigtägige Buße. Früher, so begründete er diesen Rat, sei es üblich gewesen, nach jedem Krieg zu büßen – nicht, weil es eine Sünde gewesen wäre, Feinde getötet zu haben, sondern um sich von dem vergossenen Blut zu reinigen. Inzwischen sei man davon abgekommen, ob dies gut oder schlecht sei, wage er nicht zu entscheiden, doch meine er, daß dieser Brauch geeignet sein könne, Ottos Mißstimmung abzuhelfen. Schließlich habe er wegen seiner Krankheit die heilige Fastenzeit versäumt, deren eigentlicher Zweck ja nicht allein im Verzicht auf gewisse Speisen bestünde, vielmehr darin, daß richtig geübtes Fasten den Sinn zu Gott erhebe. Dazu müsse der Fastende, mit den Worten des heiligen Hieronymus zu sprechen, vor allem seinen Zorn beherrschen, Sanftmut und Milde annehmen, ein zerknirschtes Herz haben, die unerlaubten Begierden fernhalten, die zeitlichen Güter gering achten und nichts Böses gegen seinen Nächsten im Herzen haben.
    Nachdem der Bischof mit seinem Lieblingsthema fertig war, schaute ihn Otto verständnislos an. »Ich wünsche niemandem etwas Böses«, sagte er einfach, stimmte aber sofort zu.
    Bernhard wollte ihn wegen dieser Bemerkung zurechtweisen, doch als er Ottos vergrämten Augen begegnete, die in dem abgezehrten Gesicht unnatürlich groß wirkten, ließ er davon ab. Im selben Moment wurde ihm bewußt, daß er im Sohn den Vater gemeint und sein Vortrag eigentlich diesem gegolten hatte. An dem Jungen, das erkannte er jetzt klar, mußte die Buße ihre Aufgabe verfehlen, weil sie bei ihm auf keinerlei Widerstand treffen würde. Hier waren kein stolzer Sinn zu demütigen und noch viel weniger niedrige Leidenschaften zu bändigen. Vor ihm stand ein Mensch, dem das Leben zuwider war und der, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, Gefahr lief, sich aus ihm davonzuschleichen. Bernhard bereute seinen Eifer, brachte es aber auch nicht über sich, den Vorschlag zurückzunehmen. Dazu entschloß er sich erst, als Otto nach fünfzehn Tagen strengen Fastens völlig entkräftet war.
    Für diesen begann nun alles wieder von vorn. Lediglich auf seine Ausflüge mußte er verzichten. Außerstande, sich längere Zeit auf den Beinen zu halten, schleppte er sich durch das Gelände der Pfalz, und seiner geschwächten Seele genügten die Eindrücke, die ihm diese kleine Welt zu bieten hatte. Die Hofleute gewöhnten sich rasch an den Anblick des mageren jungen Mannes, der sich, an eine Mauer gelehnt, von der Sonne bescheinen ließ und dabei mit einem Hund spielte oder auch bloß den Schwalben zusah. Zwar wußten sie, daß er ein Königssohn war, maßen indes dieser Tatsache bald genausowenig Bedeutung bei wie er selber.
    Für Aufsehen hingegen

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