Brennaburg
jedenfalls war zu groß, die Leute würden sich verausgaben und erschöpft sein, noch bevor sie den Gegner erreichten. Doch nun war es zu spät. Die Ordner fingen an zu brüllen, und mit dem Ruf »Kyrie eleison« setzten sich die Männer in Bewegung.
Unwan hielt die mittlere Gruppe zurück. Das schüttere Häuflein, das den Reiterangriff abschirmen sollte, mußte vorerst geschont werden. Er fuchtelte mit dem Schwert, schrie, blickte sich dabei immer wieder um und sah, daß die Pferde noch nicht einmal in Trab gesetzt worden waren. Schneller, schneller! Alles hing jetzt davon ab, daß die Reiterei eintraf, bevor das Fußvolk in Panik verfiel.
Das taumelt auf die Heveller zu, die inzwischen zum Stehen gekommen sind. Die Krieger in der ersten Reihe senken die Spieße, halten die Waffen jedoch so lässig, als können sie nicht glauben, daß diese schlitternde und dampfende Meute mit ihnen ernstlich anbinden will. In die Lücken zwischen ihnen schieben sich Bogenschützen, die sich in aller Ruhe Ziele suchen. Die Kyrie-eleison-Rufe, ohnehin spärlicher geworden, setzen aus. Einige der Heranstürmenden stocken und werfen sich zu Boden, die meisten halten jedoch die Schilde hoch und rennen weiter.
Der Mann mit dem Feldzeichen zuckt zusammen. In den Maschen seines Brustpanzers steckt ein Pfeil, der sich langsam nach unten neigt. Er will ihn abpflücken und wegschleudern, da wird er erneut getroffen, diesmal in die Hand, die sich um den Schaft des Feldzeichens klammert. Der Pfeil hat kaum noch Kraft gehabt, er fällt sofort herunter, doch unwillkürlich spreizen sich die Finger, und die schwere Stange entgleitet dem Mann.
Unwan richtet sich im Sattel auf. Der Vorfall scheint unbemerkt geblieben zu sein. Was er sieht, ist indessen schlimm genug. Mehr als zwei Dutzend Angreifer hocken stöhnend im Schnee, unter ihnen auch Leichtverwundete und Unverletzte, die wohl darauf spekulieren, daß niemand ein Geschoß für einen Mann vergeudet, der nicht mehr kämpfen will. Andere, noch längst nicht auf Wurfweite herangekommen, entledigen sich blindlings ihrer Speere, Äxte, ja sogar Keulen und Messer und rennen fäusteschüttelnd wieder zurück. Die Slawen antworten mit höhnischem Gelächter. Ordner reiten in die Menge, schlagen mit der flachen Klinge auf die Leute ein, um sie zum Nachrücken zu bewegen, doch keiner denkt daran, weiter vorzugehen.
Auf einmal wird der Pfeilbeschuß schwächer. Die Heveller packen die Spieße mit beiden Händen und setzen sich langsam in Marsch. Die Leute auf der anderen Seite stehen wie angewurzelt. Die Ordner lassen die Schwerter sinken und schauen ratlos zu Unwan. Der fühlt seinen Herzschlag. Fluchend springt er vom Pferd, rutscht aus, steht wieder auf. Er findet das Feldzeichen, will aufsitzen, das Tier ist jedoch plötzlich nicht mehr da. Schreiend reitet jemand an ihm vorbei, weist nach hinten und ist gleich darauf verschwunden. »Feiger Hund«, murmelt Unwan, da hört er ein Dröhnen, das rasend anschwillt. Der Galopp! Er dreht sich um, gleitet abermals aus. Etwas Dunkles taucht vor ihm auf, so groß, daß es den ganzen Himmel bedeckt. Er will sich erheben, es gelingt ihm nicht, und so streckt er kniend die kalten Hände nach vorn. Eine Empfindung von Kindheit weht ihn an – der Geruch von Schnee und der Anblick von etwas Gewaltigem, das ihn sogleich hochheben und trösten wird …
Auch die Heveller begreifen zu spät. Die Männer der vorderen Linie versuchen, ihre Spieße in den Boden zu rammen, finden aber in der gefrorenen Erde keinen Halt. Verzweifelt stemmen sie sich gegen die Nachdrängenden, die von ihren Hinterleuten ebenfalls vorwärts gestoßen oder über den Haufen gerannt werden. In dieses Gewirr stolpernder und stürzender Menschen dringt der Reiterkeil wie das Messer in die Butter. Spitzwinklig zuerst, spreizt er sich sofort auf, als er an den Rändern keinen Widerstand spürt. Dadurch gewinnen die Angreifer Raum. Von den schrillen Entsetzensschreien berauscht, werfen sie die Speere weg, greifen zu den Schwertern und hauen in die verknäulten Leiber, keuchend, knurrend, heulend vor Lust. Arme und Köpfe, ganze Rumpfteile fallen unter ihren Hieben, Blutfontänen steigen empor und klatschen in den Schnee, auf dem sich zuckende Körper wälzen.
Die Fußkämpfer schauen gebannt zu. Schließlich gehen sie daran, sich an der Schlächterei zu beteiligen, zögernd erst, bald aber miteinander wetteifernd, so, als befürchteten sie, wie so oft in ihrem Leben wieder einmal zu kurz
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