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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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Zurückhaltung auferlegte. Seine Anordnungen, werde erzählt, zeugten von Augenmaß und Vernunft, doch kaum, wie man bei einem so jungen König erwarten durfte, von Ehrgeiz und Ruhmbegierde. Er suche den Horizont nicht nach Feinden ab, beunruhige seine Umgebung nicht durch ständig neue Einfälle und habe nur wenige der alten Hofbeamten gegen seine Günstlinge ausgetauscht – kurz, er herrsche so, als ob er die übernommenen Verhältnisse zu respektieren gedachte. Seine Lieblingsbeschäftigung sei es offenbar, herumzureisen, Schenkungen und Privilegien zu bestätigen und sich, wo immer er auftauche, feiern zu lassen. Seitdem bekannt geworden sei, er plane nach der kürzlichen Errichtung eines Frauenstiftes in Quedlinburg die Gründung eines weiteren Klosters, spotte man hier und da, daß er sich anscheinend schon zu Beginn seines Lebens einen Platz im Jenseits sichern wolle.
    Rasch verbreitete sich über ihn die Meinung, daß er zwar nicht mit sich spielen lasse, aber ein Mann sei, der sich statt auf seine Krieger lieber auf seine Kanzlisten stütze: ein König, der die Ordnung liebte und das, was ihm sein Vater vermacht hatte, lediglich zu verwalten gedachte. Das war nicht das, womit man nach dem pompösen Krönungszeremoniell gerechnet hatte. Vielerorts atmete man erleichtert auf, und die Neugier, mit der man seine ersten Schritte beobachtet hatte, erlosch.

3
    L ANGE BEVOR IHN der Schlaf verließ, fand sich Graf Gero in Gespräche verstrickt, bei denen er sich verzweifelt mühte, einem Unbekannten etwas zu erklären. Dieser verstand ihn jedoch nicht oder wollte ihn nicht verstehen, und in den Wortwechsel hinein drangen auf einmal qualvoll deutlich die Geräusche des Hofes.
    Heute war es nicht anders gewesen, und ebenso wie an den vorangegangenen Tagen trat er zuerst ans Fenster. Benommen starrte er in den blaßblauen Morgen. Aus den Unterkünften des Gesindes kam herausforderndes Schnarchen. Gestern war St. Lorenz gewesen, und die Leute hatten bis in die Nacht gefeiert. Er hatte ihnen Gesellschaft geleistet, doch während sie noch schliefen, war er wieder viel zu zeitig erwacht. Er stöhnte leise und murmelte einen Fluch, etwas, das er sich nur gestattete, wenn er allein war (Ein Herr ist nicht niedergeschlagen, sondern unzufrieden, nicht mißgelaunt, sondern mit gutem Grund zornig.). Dann trank er ein paar Schlucke Wasser, kleidete sich an und ging hinunter.
    Vom Stall her ertönte ein dumpfes Klopfen. Das war die Stute, die mit einem Huf gegen die Wand schlug und damit nicht eher aufhören würde, als bis er bei ihr war. Schweifwedelnd kam ihm der Hund Rado entgegen, stellte sich vor ihm auf und winselte verzückt. »Kusch!« flüsterte Gero, worauf der Hund genußvoll die verklebten Augen schloß und seinen Leib an den Boden preßte. Für einen Moment fühlte der Graf das Verlangen, dem Tier einen Tritt zu verabreichen; nur sein Grundsatz, niemals, unter keinerlei Umständen eine überflüssige Grausamkeit zu begehen, hielt ihn davon ab.
    Mit raschen Schritten begab er sich in Richtung Stall. Um die Unruhe in sich herauszuschwitzen, würde er bis lange nach Sonnenaufgang ziellos umherreiten und in die taufeuchten Wiesen wirre Spuren zeichnen, mit der freudlosen Verbissenheit eines Greises, dessen einziger Lebensinhalt der Kampf gegen den Verfall ist. Dabei ständig in Sorge, daß ihn jemand beobachtete und den Schluß zog, er habe den Verstand verloren.
    Wahrhaftig, es war beschämend. Und so ging das nun schon seit Monaten.
    Begonnen hatte es genaugenommen noch früher. Vor fünf Jahren, im Spätsommer neunhundertzweiunddreißig, waren Vater und Bruder bei einem Gefecht mit Räubern getötet und Gero somit unerwartet Herr dieser Grafschaft geworden. Sie war klein, und die Einkünfte, die sie abwarf, konnte man ebenfalls nicht bedeutend nennen. Doch als die Urkunde endlich eingetroffen war, hatte er gemeint, mehr erreicht zu haben, als ihm eigentlich zustand.
    Seltsam, daß er einmal so gedacht hatte. Diese nüchterne Bescheidenheit – wie wünschte er sie zurück, jetzt, da ihm der Ehrgeiz das Leben vergiftete. Damals war er glücklich gewesen, denn jeder Tag hatte ihm bestätigt, daß er für dieses Amt der richtige Mann war. Dem Übermütigen Furcht einzuflößen, ohne daß der ihn dafür haßte, den Ängstlichen zu beschämen, so daß dem vor der Schande stärker graute als vor dem Teufel, dem Trägen ein Ziel zu weisen, die Leidenschaften des Unbeherrschten zu steuern, kurz: die Menschen zu bewegen,

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