Brennaburg
heißt es, er sei gutherzig und redlich. Das mag stimmen. Doch vor allem ist er ein Besessener und wie alle Besessenen maßlos und niemals mit sich und der Welt zufrieden. Laß mich es so ausdrücken: Der Vater freute sich über das, was er hatte, der Sohn ärgert sich über das, was ihm noch fehlt. Solche Menschen aber, ob ehrenhaft oder nicht, sind gefährlich. Gestern war es lediglich ein Stück Vollkommenheit, von dem er meinte, es fehle ihm, morgen könnten es Länder und Leute sein. Du sagtest vorhin, es erstaune dich, daß ihn Heinrich trotz ihrer beider Gegensätzlichkeit zu seinem Nachfolger auserkoren hat. Ich bin sicher, der alte Fuchs hat dies nicht trotz, sondern – sieh!« unterbrach er sich und schaute zu den Pferden, die teils auf der Lichtung, teils in einem angrenzenden Erlenwäldchen grasten. Soeben trat Herzog Giselbert zwischen ihnen hervor; auf der Linken trug er den Falken, mit der Rechten schlug er sich triumphierend gegen die Brust.
»Er hat ihn gefunden«, stellte der Gefangene mißmutig fest. »Und wie es scheint, ist der Vogel sogar unbeschädigt. Wahrhaftig ein Wunder, so dicht, wie die Gäule dort beisammen stehen.«
Der Gesandte antwortete nicht; lediglich sein Atem war zu vernehmen. »Gönnen wir es ihm«, sagte er endlich in einem sonderbar gepreßten Tonfall. »Was du erzählt hast, genügt mir. Das heißt, es muß mir genügen. Ich bitte dich, erschrick nicht bei dem, was ich jetzt sagen werde: Der Mann, über den wir reden, ist dabei, uns einen Besuch abzustatten.«
»Welcher Mann?«
»Sprachen wir über zwei? Ja, du hast recht. Doch da der eine nicht mehr lebt, kann es sich nur um den anderen handeln.«
»Otto?!«
»Ja, er ist es. Vermutlich hat er sich verlaufen. Übrigens glaube ich, daß er uns noch nicht entdeckt hat. Sei ganz ruhig, ich werde mich dem königlichen Zorn entgegenwerfen.«
Der Gefangene holte tief Luft und drehte sich gemächlich herum. Sein Blick verfing sich im glitzernden Blattwerk der Baumkronen. Die Gewitterwolken hatten sich verzogen; ungehindert prallten die Strahlen der heißen Augustsonne auf die Erde und brachten die Luft zum Tanzen. Er räusperte sich leise und senkte die Augen.
Durch kraftvolle Stöße mit Beinen und Schultern das Unterholz zerteilend, kam Otto geradewegs auf sie zu. Die Faust, auf welcher der weiße Gerfalke saß, hielt er in die Höhe, dessen Beute zog er hinter sich her. Das lange Haar hing ihm wirr in die Stirn, der Mund stand vor Erschöpfung offen. Bis zu den Hüften war er mit einer Schlammkruste bedeckt.
Ungefähr fünf Schritt vor ihnen stockte er und vollführte mit dem Arm, der den toten Reiher trug, eine abwehrende Bewegung, wobei über das von Schweiß und Schmutz streifige Gesicht ein Ausdruck von Ratlosigkeit glitt. Nachdem sich beide Männer vor ihm verbeugt hatten, heftete er seine ein wenig vorstehenden Augen auf Ratibor. »Was tust du hier?« fragte er schroff.
Dieser verneigte sich abermals. »Was macht ein Gesandter, Herr König, wenn man nicht auf ihn aufpaßt?« erwiderte er lächelnd. »Er spioniert. Ich bin Gesandter, kein Sachse war in der Nähe, also mache ich es auch.«
In Ottos Miene regte sich nichts. »Und hattest du Erfolg?« erkundigte er sich.
»Leider nicht.«
»Was ist es denn, das du rauskriegen wolltest? Vielleicht kann ich dir behilflich sein.«
»O ja, Herr König, das kannst du«, bestätigte Ratibor, noch immer lächelnd. »Ich fragte Tugumir, was ist der neue König für ein Mensch? Ist er den Hevellern gewogen oder nicht? Wird er sie wie Freunde behandeln oder wie Unterworfene? Das möchten alle bei uns wissen.«
Otto nickte flüchtig. »Nun, ich denke, darüber kannst du in der Tat einiges von mir erfahren. Bevor ich meine Ansicht äußere, teile mir jedoch diejenige deines Gewährsmannes mit.«
»Aber Tugumir weiß nicht!« rief Ratibor, die Arme ausbreitend. »Er sagt, niemand kennt den neuen König richtig. Alle wissen nur, daß er sehr fromm und sehr klug ist.«
Otto ließ den Reiher fallen und wischte sich mit dem Rücken der freigewordenen Hand über das Gesicht. »Und damit willst du morgen vor deine Leute treten? Das glaube ich dir nicht. Du bist nicht zum erstenmal bei uns und wirst auch in diesen Tagen nicht weggehört haben, wenn man über mich redet. Was spricht man also von mir? Und wozu wirst du den Deinen raten? Gegen mich zu kämpfen, solange ich die Zügel noch nicht fest im Griff habe? Oder darauf zu lauern, daß ich einen Fehler mache? Sag
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