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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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Grenze Streitigkeiten möglichst friedlich beigelegt wurden, auch solche zwischen Hörigen und Grundherren. So lautete der Wunsch des Königs, und den mußte er, Gero, schließlich befolgen. Was immer er tat, er tat es für sich, auch dann, wenn es anscheinend nur anderen zugute kam.
    Überlegungen wie diese trugen ihn bald noch ein Stück weiter. Was benötigte man eigentlich zum Herrschen? Mut, einen klaren Kopf, Ausdauer, das Vermögen, sich unter allen Umständen in der Gewalt zu haben, Entschlußkraft – gewiß. Doch diese Eigenschaften allein genügten nicht. Sie nützten wenig, wenn nicht noch eine hinzukam, die ihm an König Heinrich aufgefallen war und von der er mittlerweile meinte, daß auch er sie besaß: Die Lust an der Macht und die Fähigkeit, dieser Leidenschaft alle anderen jederzeit unterzuordnen.
    Zwar verhielt sich der König häufig so, als werde er ausschließlich von Stimmungen und Vorlieben geleitet, doch Gero ließ sich nicht täuschen. An zahllosen Kleinigkeiten spürte er, daß dieser Mann selbst dann regierte, wenn er jemandem beim Trunk auf die Schulter hieb, seinen Falken streichelte oder gedankenverloren vor sich hinsah. Mit jeder Bewegung und jedem Wort verfolgte er bestimmte Absichten und schien keinen Augenblick zu vergessen, daß es die Macht nicht litt, wenn man ihr nicht unentwegt und auf die ihr jeweils gemäße Weise diente.
    Das unterschied ihn von all denen, für die sie nur ein Mittel war, sich ein angenehmes Leben zu verschaffen. Wenn man aber die Macht nicht ständig umwarb, sondern wie eine Beute behandelte, pflegte sie sich irgendwann zu rächen. Er, Gero, hatte das ebenfalls begriffen, und mitunter bedauerte er, daß er diese Erkenntnis lediglich in einer kleinen Grafschaft anwenden durfte.
    Solche Anwandlungen waren aber immer rasch vergangen. Von Aufstieg jedenfalls hatte er nicht einmal geträumt. Die Großen hielten ihre Reihen geschlossen, und die Zeiten, in denen ein Mann von seiner Tüchtigkeit emporgetragen werden konnte, waren offenbar unwiderruflich vorbei. Heutzutage zählten vor allem Besitz und Verwandtschaft, mit beidem hatte ihn das Schicksal nicht gerade verwöhnt.
    Vor einem Jahr, im Herbst neunhundertsechsunddreißig, war es jedoch zu Ereignissen gekommen, die ihn hierüber anders denken ließen. Noch zu Lebzeiten König Heinrichs hatten sich wieder einmal die Redarier erhoben. Um sie zu bestrafen, fiel Otto nur wenige Wochen nach seiner Krönung mit einem Heer in ihr Land ein. Die Führung übernahm er indessen nicht selbst, sondern beauftragte damit einen jungen Grafen namens Hermann. Dieser entstammte einer angesehenen Familie, hatte aber bislang im Schatten seines älteren Bruders Wichmann gestanden.
    Ottos überraschende Entscheidung machte böses Blut. Tödlich gekränkt verließ der selbstbewußte Wichmann das Heer. Aber auch andere verbargen ihre Unzufriedenheit nicht. Hermann jedoch errang einen glänzenden Sieg und wurde dafür nach der Heimkehr zum Grenzgrafen über die nördlichen Slawenstämme ernannt.
    Gero wußte natürlich, daß er sich, was Herkunft und Besitz anlangte, mit ihm nicht messen konnte. Doch Otto hatte seine Wahl ausdrücklich mit Hermanns Ehrenhaftigkeit und Zuverlässigkeit begründet, und zwar schon zu Beginn des Feldzuges. Nicht einmal wegen besonderer Verdienste war dieser also erhöht worden, sondern wegen Eigenschaften, die künftige Verdienste zu verbürgen schienen: Eine Mahnung an alle, die glaubten, sich auf ihren Vorrechten und früheren Leistungen ausruhen zu können. Ihnen wollte der König wohl zu verstehen geben, daß er Treue und Gehorsam mehr schätzte als Taten, die aus bloßer Ruhmsucht begangen wurden.
    Sie wiederum hatten ihm zu verstehen gegeben, was es bedeutete, ihre Belange zu mißachten und sich an der überkommenen Rangfolge zu vergreifen. Er war daher gewarnt und würde sich gewiß hüten, einen solch gewagten Schritt zu wiederholen.
    Eben diese Erkenntnis war es, die Gero seit Monaten den Schlaf raubte. Kaum erwies sich, daß jene Grenze, die er für unüberwindlich gehalten hatte, gar nicht so unüberwindlich war, da stellte sich auch schon heraus, daß sie es mit großer Wahrscheinlichkeit für lange Zeit nun doch sein würde. Offenbar hatte er sich während der letzten Jahre selbst betrogen, und dabei war der Ehrgeiz in ihm gewachsen wie ein heimliches Geschwür. Auf einmal empfand er sein Amt als läppisch, und Erfolge, die ihn vorher gefreut hatten, schienen ihn nun zu verhöhnen … Ein

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