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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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Wunder müßte geschehen, sagte er sich häufig, doch da sein Glaube an Wunder schwach war, stürzte ihn dieser Gedanke in noch heftigere Verzweiflung.
    Als er zurückkehrte, hatte sich die Sonne längst vom Horizont gelöst. Er begab sich in seine Kammer, wusch sich und aß ein Stück Käse. Danach ging er wieder hinunter.
    Im Hof hatten sich inzwischen jene Männer versammelt, die ihn auf dem bevorstehenden Umritt begleiten sollten. Zwei Tage lang würde er mit ihnen durch einige Dörfer seines Amtsbereiches reisen und nach dem Rechten sehen. Wie an jedem Morgen forschte er in ihren Mienen nach Anzeichen, daß sie sich über seine frühen Ausflüge insgeheim lustig machten, konnte aber auch heute keine entdecken.
    Das überraschte ihn nicht, denn eines hatte er ihnen beizeiten begreiflich gemacht: Ob er sich glücklich oder unglücklich fühlte war für sie ohne Bedeutung, so, wie es für Frösche bedeutungslos ist, ob der Mensch, der sie im nächsten Augenblick vielleicht zertritt, lahmt oder zwei gesunde Beine hat.
    Er nickte ihnen zu, und der Trupp setzte sich in Marsch. Hinter dem Tor bog der Weg nach Süden, durchquerte die Quellmulde eines Baches und schlug dann abermals einen Haken, diesmal in Richtung Nordwesten. Kurz darauf mündete er in einen Hochwald. Nur an wenigen Stellen schien die Sonne auf die Erde. Sowie die Hufe der Pferde einen dieser gelben Flecken berührten, raschelte es im Gras – Scharen von Eidechsen, die erst im letzten Moment davonstoben. Eine Weile wurden die Reiter vom einförmigen Gebimmel einer Schweineherde begleitet, die unter den Buchen weidete.
    Gegen Mittag erreichten sie freies Gelände. Ein frischer Wind kam auf, beugte Distelstauden und schaukelte Stieglitze, die die Pflanzen nach Samen absuchten. Statt nach Moder roch es auf einmal süß nach Heu, denn rechter Hand zog sich eine Wiese hin. Zwischen den halbfertigen Feimen lagen oder standen Rechen, Bündel und Körbe, Leute waren jedoch nicht zu sehen. Offenbar hatten sie ihre Arbeit überstürzt verlassen.
    Gero befahl, ins Dorf zu reiten. Bereits von weitem hörten sie Geschrei, als sie näherkamen, wurde es leiser, verstummte dann ganz. Auf dem Anger drängten sich an die vier Dutzend Menschen, Männer und Frauen, Kinder und Greise, von ein paar Hunden umkreist, die aufgeregt kläfften. Gero stieg vom Pferd, grüßte laut und forderte die Menge auf, ihn in ihre Mitte zu lassen. Zu seiner Verwunderung trat jedoch niemand beiseite, und so wies er seine Leute an, ihm Platz zu schaffen.
    Nachdem diese eine Gasse gebahnt hatten, schritt er rasch hindurch und erblickte einen Mann, der reglos im Gras lag. Seine Kleider waren zerrissen, die Arme anscheinend ausgerenkt und das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Aber er lebte noch, denn der blutige Schaum vor seinem Mund hob und senkte sich. Neben ihm kniete ein Bauer. Er hielt einen Dreschflegel in der Hand und schaute dem Grafen unschlüssig entgegen. Hinter den beiden, am Rand des Teiches, stand eine Kuh und soff.
    Was geschehen sei, fragte Gero und erfuhr, was er längst ahnte: Daß der Verletzte die Kuh habe stehlen wollen und, weil er sich der Festnahme widersetzt hätte, verprügelt worden sei. Ob man einen Richter gewählt habe? Nein, wozu auch, der Dieb werde ja doch jeden Augenblick sterben.
    »Kennt ihr ihn?«
    »Selbstverständlich. Ein Dienstmann Osdags. Vor kurzem ist er ihm davongelaufen. Wahrscheinlich wollte er sich Räubern anschließen, und bevor die ihn aufnahmen, stellten sie ihn auf die Probe.«
    Gero nickte. »So könnte es gewesen sein. Aber wie ich sehe, ist er noch nicht tot.«
    Der Bauer stand auf und schwang seinen Dreschflegel. »Mit deiner Erlaubnis, Herr Graf, wird er es sofort sein. Ich war gerade im Begriff, ihn von den Leiden zu erlösen.«
    Gero zögerte. Einer seiner Grundsätze war es, die Bauern immer und überall merken zu lassen, daß es einen Unterschied machte, ob er bei ihnen weilte oder nicht. Den halbtoten Dieb zu erschlagen, war vernünftig. Es gab aber noch eine andere Vernunft, und die gebot ihm, jetzt eine strenge Miene aufzusetzen und zu sagen: »Der Mann ist in eurer Gewalt. Und da er noch lebt, müssen wir auch über ihn Gericht halten. So will es, wie ihr wißt, das Recht.«
    Verwirrt sahen ihn die Leute an, und er ließ ihnen Zeit, sich zu besinnen. Obgleich sie das, was er da verlangte, seltsam fanden – die Beharrlichkeit, mit der er das überlieferte Recht verteidigte, würde sie schließlich beeindrucken. Und

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