Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennende Fesseln

Brennende Fesseln

Titel: Brennende Fesseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Reese
Vom Netzwerk:
versuchten, sich wenigstens einmal im Monat zu treffen, und meistens lief es auf einen Chin-Chin-Salat im Radisson hinaus. Sie waren sich einig, daß es in ganz Sacramento keinen besseren chinesischen Hühnersalat gab.
    Franny bog in den Parkplatz des Hotels ein. Mit seiner graubraunen Farbe und den Stuckverzierungen wirkte das Radisson von außen wie ein modernes Kloster. Sie fuhr zur Vorderseite des Gebäudes, aber alle freien Parkplätze in der Nähe des Eingangs waren für Kleinwagen gedacht. Franny fuhr einen alten schwarzen Cadillac mit Heckflossen. Der Wagen stammte aus den Fünfzigern, verschlang Unmengen Benzin und hatte gigantische Ausmaße, aber sie liebte ihn. Sie hatte eine besondere Beziehung zu dem Auto, als wäre es ein lieber alter Freund. Und wie bei einem alten Freund kümmerte sie sich liebevoll um seine Bedürfnisse, wusch und wachste ihn, polierte die Chromteile, saugte das Wageninnere und überprüfte regelmäßig den Luftdruck in den Reifen. Sie fuhr den Wagen seit ihrer High-School-Zeit. Damals hatte sie noch bei Nora gewohnt, und als sie das erste Mal mit dem Wagen vorgefahren war, hatte ihre Schwester ihn als Monstrum bezeichnet, als Schandfleck und Plage für die Umwelt. Aber Franny, sonst so sanftmütig, hatte sich geweigert, ihn wieder zu verkaufen. Sie wußte nicht genau, warum, aber sie liebte diesen Wagen.
    Der Cadillac glitt über den Parkplatz, schnittig und lautlos wie ein im Wasser kreisender Hai. Schließlich fand sie eine große Parklücke an der Rückseite des Hauses. Der Wagen kam mit einem dumpfen Geräusch zum Stehen. Sie suchte auf dem Rücksitz nach ihrem Schirm, aber er war nicht da. Also schlüpfte sie in ihren Mantel, zog ihn so weit hoch, daß er ein provisorisches Zelt über ihrem Kopf bildete, und sprintete die lange Auffahrt hinauf, die zum Hauptgebäude des Hotels führte. Als sie den Eingang erreichte, blieb sie vor der Doppeltür
stehen und zog den Mantel wieder zurecht. Dann schüttelte sie wie ein naß gewordenes Tier den Regen ab. Als sie aufblickte, sah sie, daß der Portier, ein dünner Mann mit einer schweren, plastikgerahmten Brille, sie mit einem kaum zu deutenden Blick betrachtete. Er zögerte einen Moment, ehe er ihr die Glastür aufhielt.
    »Danke«, flüsterte Franny atemlos und stürzte an ihm vorbei, ohne ihn anzusehen. Sie ging durch das mit Teppich ausgelegte Foyer, das in einer Palette gedämpfter Farbtöne eingerichtet war, ließ die Rezeption und den Kiosk, die Topfpflanzen und Bilder hinter sich und stieg ein paar Stufen zum höher gelegenen Speisesaal hinauf. Sie kam direkt von der Arbeit. Bevor sie die Klinik verlassen hatte, war sie in einen langen schwarzen Rock und einen Pulli geschlüpft. Ihre vom Regen feuchten Haare kringelten sich noch stärker als sonst. Sie versuchte, sie mit den Fingern durchzukämmen, aber bei dem Wirrwarr langer Locken war das ein vergebliches Unterfangen. Sie gab auf und suchte in ihrer Tasche nach einer Spange. Neben ihrem Geldbeutel steckte Billys silberner Krankenhausarmreif, bei dem auf einer Seite das Wort Dialysepatient eingeprägt war. Sie hatte ihn immer bei sich. Nachdem ihre Eltern gestorben waren, hatte sie ihn am Handgelenk getragen, bis Nora eines Tages darauf bestand, daß sie ihn ablegte. Nora war der Meinung, daß man die Vergangenheit ruhen lassen sollte. Sie fand es morbid von Franny, Billys Armreif zu tragen, als wäre er ein Amulett oder ein Glücksbringer. Franny selbst hatte den Armreif nie als Amulett betrachtet. Für sie war er eher ein Stigma, das schwer an ihrem Handgelenk hing. Jetzt ließ sie ihn in ihrer Tasche oder trug ihn an einer Halskette unter der Bluse, wo ihre Schwester ihn nicht sehen konnte.
    Endlich wurde sie fündig; während sie sich die Haarspange in die Locken schob, entdeckte sie Nora im hinteren Teil des Speisesaals. Sie nippte an einem Glas Wein und sah schick
und aerobic-gestählt aus. Sie trug ein enges, kurzes Strickkleid, das sehr sexy wirkte und ihren Körper und ihre langen Beine gut zur Geltung brachte. Franny wußte, daß Nora fast neurotisch auf ihr Gewicht achtete und sechsmal pro Woche im Capital Athletic Club trainierte, um ihren Körper in Form zu halten. Außerdem paßte sie immer genau auf, was sie aß.
    Nora sah in Frannys Richtung, lächelte und winkte. Ihr Mund war knallrot geschminkt, ihr schwarzes Haar zu einem modischen, kinnlangen Pagenkopf geschnitten. Franny ging zu ihr hinüber. In Gegenwart ihrer Schwester fühlte sie sich immer wie ein

Weitere Kostenlose Bücher