Brennende Fesseln
Lachen, das regelrecht aus ihrem Mund zu purzeln schien. »Seit wann stellst du mir solche Fragen?«
Franny lächelte verlegen.
»Nein«, sagte Nora, »habe ich nicht. Ich habe es mir überlegt, aber dann war es einfach zuviel Streß.«
Franny mußte sie bestürzt angestarrt haben, denn Nora verzog in gespielter Verzweiflung den Mund und sprach in erklärendem Tonfall weiter.
»Du weißt schon. All die Vorsichtsmaßnahmen. Den Mann nach seiner sexuellen Geschichte fragen, die Kondome aus der Schublade holen, sicherstellen, daß das Kondom aus Latex ist, die Gleitsubstanz auf Wasserbasis hergestellt ist, et cetera, et cetera. Wer braucht das schon? Vor allem, wenn es jemand ist, bei dem man schon vorher weiß, daß es nicht lange dauern wird. Da erschien es mir leichter, allein nach Hause zu fahren. Manchmal ist der Sex die ganze Mühe einfach nicht wert.«
Franny fand, daß das eine gute Gelegenheit war, Michael zur Sprache zu bringen und beiläufig die Dinge zu erwähnen, die sie miteinander taten. Sie setzte an, etwas zu sagen, aber Nora zog schon ihren Mantel an, bereit zum Aufbruch. Sie wollte tanzen gehen.
Im Aufstehen warf Nora einen Blick auf die Rechnung und legte dann ein paar Scheine auf den Tisch. »Was ist?« fragte sie, als sie bemerkte, daß Franny zögerte.
Franny lächelte sie zaghaft an und schüttelte dann den Kopf. »Nichts«, sagte sie. Sie hatte beschlossen, Nora nicht zu erzählen, daß sie einen Freund hatte. Sie war noch nicht bereit, ihn der kritischen Analyse durch ihre Schwester auszusetzen. Nora ging nur mit Männern aus, die in ihrem Alter waren oder, was ihr noch lieber war, etwas jünger. Schon oft hatte sie erklärt, sie sehe keine Vorteile darin, mit einem viel älteren Mann befreundet zu sein. Sie würde es seltsam finden, daß Michael doppelt so alt war wie Franny. Und was würde sie denken, wenn sie herausfand, daß sie nie zusammen ausgingen oder etwas unternahmen? Nora tendierte zu einem gewissen Zynismus, was Männer betraf, und würde Franny wahrscheinlich
nicht verstehen. Sie würde Michael bestimmt kennenlernen wollen. Was, wenn er damit nicht einverstanden war? Franny beschloß, noch zu warten. Der Zeitpunkt war noch nicht gekommen. Auf der Heimfahrt beschloß sie außerdem, am Bakers Square in West Sacramento anzuhalten und sich einen kleinen Schokoladenkuchen zu gönnen.
Als sie an diesem Abend nach Hause kam, blinkte an Frannys Anrufbeantworter das grüne Licht. Es war eine Nachricht von Michael. Er ließ sie wissen, daß sie zu ihm kommen sollte. Sie lächelte in sich hinein, erfreut über diese Nachricht. Immer noch fröstelnd, weil es draußen so kalt gewesen war, ging sie durch die Wohnung und begann, ihre nassen Sachen auszuziehen. Von ihrem durchnäßten Mantel tropfte Regenwasser auf den Boden, der feuchte Saum ihres langen schwarzen Rocks klebte an ihren Beinen. Sie hängte Rock und Mantel zum Trocknen über einen Stuhl. Ihre Wohnung war klein, ein Zwei-Zimmer-Apartment im ersten Stock eines Wohnkomplexes, in dem fast nur Studenten lebten, und hatte überhaupt nichts Besonderes. Fade, beigefarbene Wände gingen in einen ebenso faden Teppichboden über. Aber die Miete war erschwinglich, und sie hatte versucht, die Wohnung mit bunten Kissen, Hängepflanzen und farbenfrohen Drucken an den Wänden aufzupeppen.
Sie ging ins Schlafzimmer und zog ihre restlichen Sachen aus, stapelte sie auf dem Bett und ging dann ins Bad. Sie duschte, ließ das warme Wasser die Kälte aus ihrem Körper vertreiben. Sie war froh, daß Michael angerufen hatte. Ihr war nie klargewesen, wie einsam sie war, bis sie ihn kennengelernt hatte. Sie hatte sich an die Einsamkeit gewöhnt wie an eine kleine Wunde, die niemals heilt: Man gewöhnt sich so sehr daran, daß man sogar vergißt, daß sie da ist. Damit war es nun vorbei. Inzwischen fand sie ihre leere Wohnung unerträglich. Jedesmal, wenn sie zu Michael fuhr, um den Abend bei ihm
zu verbringen, hatte sie ein Gefühl, als würde sie fliehen, aus ihrem einsamen Leben ausbrechen.
Ihr Körper war vom Duschen ganz rot, der Raum von Dampfschwaden erfüllt und warm. Sie drehte das Wasser ab und griff nach einem großen Handtuch. Während sie sich abtrocknete, mußte sie daran denken, wie sie letzte Woche mit Michael geduscht hatte – wie er sie eingeseift hatte, mit den Händen über ihren ganzen Körper gewandert war und ihr Fleisch herumgeschoben hatte, als wäre er ein Bildhauer. Dabei hatte er sie mit einem gierigen,
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