Brennende Schuld
Gesichtern. Der Techniker hatte es wahrscheinlich auch eingehend betrachtet. Und Elena? Ohne sich nach ihr umzudrehen, hoffte er, dass sie weit genug entfernt war, um nichts mitzukriegen oder nachzufragen.
Er knickte das Foto in der Mitte zusammen, wollte es am liebsten für alle Zeiten verschließen – Keulemans’ Orgasmusgesicht und Karins Beine in Netzstrümpfen mit Highheels. Das Blut strömte durch seine Adern wie aus geplatzten Orangen, und im Nebel seines Hirns sprühten Funken. Ihm war schwindelig.
Um das alles zu verbergen, brüllte er den Surfer an: »Was hat das hier mit dem Fall zu tun?« Er ging auf ihn los. »Bist du total übergeschnappt? Zuerst versiebst du die Überwachung der Finca, und dann unterbrichst du meine Ermittlungen wegen einem Haufen Hundescheiße!«
Der Bischof war ruck, zuck zwischen ihnen. Wenn es darauf ankam, war er schnell wie ein Wiesel. »Es war nichts weiter drin. Wir wollten es dir überlassen, wie du damit umgehst.«
Costa ging zur Tür. »Sieh dich vor, Junge. Meine Geduld hat Grenzen.« Elena befahl er, ihn zu Prats fahren.
Während der Fahrt sprachen sie kein Wort. Costa sah aus dem Fenster. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch es gelang ihm nicht. In ihm ein Gestrüpp von Elektrodrähten, zwischen denen es tobte und blitzte. Am Kreisverkehr vor Ibiza sagte er: »Nach links.« Sein Mund war staubtrocken, kaum konnte er die beiden Worte verständlich aussprechen. Elena fragte nicht, natürlich wusste sie, dass es zum Untersuchungsgefängnis, wo Prats jetzt saß, geradeaus ging.
Im Hafen Botafoch stieg er aus und sagte, sie solle warten.
Er rannte besinnungslos die Treppen ins fünfte Stockwerk hinauf. Mit jeder Stufe verwandelte sich sein Schmerz mehr und mehr in blanke Wut.
Als er vor Karins Tür stand, schlug er mit den Fäusten gegen das Holz. Sie öffnete erstaunt.
Er stieß ihr das Foto vors Gesicht.
Stille.
Er wartete auf ein Geständnis. Zugleich fürchtete er, sie könnte alles bestreiten. Blitzschnell hob sie die Hand und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Er ließ das Foto sinken. Die Tür vor ihm knallte ins Schloss.
Das war’s dann. Er fühlte sich lausig. Seine Anspannung war weg, stattdessen fühlte er sich hohl.
Er saß auf einer Bank am Kai, von dem die Boote nach Formentera ablegten. Nach diesem Fiasko war er nicht imstande, das Verhör mit Prats fortzusetzen, und Elena war allein weitergefahren.
Prats würde ihnen nicht weglaufen – und überdies gefiel ihm die Vorstellung, dass der Inselrat die Nacht auf einer Pritsche verbrachte. Wahrscheinlich war bereits ein Himmelbett in die Zelle gebracht worden. Der Mann würde seine Privilegien schon zu nutzen wissen.
Ein Liebespaar schlenderte an ihm vorbei, blieb am Schalter der Fähren stehen und versank in einen Kuss. Wir beten sie an, und dann sitzen wir in der Falle. Dir wird es nicht anders gehen, dachte er, während die Hände des Jungen abwärts über den Rücken des Mädchens wanderten. Cayetano Herrera fiel ihm ein, wie er schmachtend vor dem Museum auf die Rothaarige wartete, die mit Gewissheit niemals einen Blick an ihn verschwendet hatte. Die Sehnsucht ist zu stark, um den Überblick zu behalten. Überblick. Überblick war einer der Begriffe, die er jüngeren Kollegen immer zur Lösung ihrer Fälle empfohlen hatte.
Er schlug den Weg zu seiner Wohnung ein. Es waren vom Hafen nur fünf Minuten zu Fuß. Er brauchte die Bewegung, denn nun kehrten seine Gefühle zurück. Trauer, Verletztheit, Enttäuschung und Wut. Als er vor der Haustür stand, wusste er, dass er die Einsamkeit seiner Zimmer jetzt nicht ertragen konnte.
»Viva Mexico!«, brüllte jemand. Costa fuhr herum. Juanito, der Besitzer des kleinen Restaurants schräg gegenüber, hatte den Sonntag mal wieder zum ›Mexikanischen Tag‹ deklariert. Das war der Tag, an dem er einen verschrammten Holzkaktus vor die Tür stellte, der sein ungenießbares chili con carne anpries, fade mehlige fajitas und eine Art grau-grüner guacamole, die Costa jedes Mal, wenn er sie auf den Tellern der Gäste sah, an Torres’ Autopsieberichte erinnerte. Juanito schlüpfte zu diesem Anlass unter einen abgewetzten Poncho, setzte einen Sombrero auf und klebte sich einen Sancho-Pansa-Bart über seine Oberlippe. Dann lief er mit zwei Plastikrasseln die Straße auf und ab und schrie »Viva Mexico!« Jetzt war er stehen geblieben und rief: »Viva Toni!«
Der Surfer behauptete, er habe ihn einmal an einem ›Schweizer Montag‹ erlebt:
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