Brennende Schuld
Sie beide kannten pudern als einen Ausdruck für vögeln. Er war sich bei ihr eben vieler Dinge nicht sicher.
Unter Wasser fühlte er sich nicht länger unbeholfen. Die stille Schwerelosigkeit dieser Welt war ihm von klein auf vertraut. Solange die Luft nicht ausging, war alles einfach und schön. Als Kind hatte er allerdings auch anderes ausprobiert. In mondlosen Nächten hatte er mit Taschenlampe und selbst gebastelter Harpune bei Sa Punta gefischt. Ohne Taucherbrille, denn wie die anderen Kinder des Dorfes war er es gewohnt, mit offenen Augen zu tauchen. Die größte Mutprobe bestand darin, in die Höhlen zu leuchten, sich von meterlangen Muränen erschrecken zu lassen, trotzdem aber mit einer ibizenkischen Brasse, einem sargo oder einer corva, auf der Spitze des Pfeils aufzutauchen. Natürlich waren die schlafenden Fische leichte Beute, weswegen diese Art von Sport streng verboten war. Es drohte eine Ohrfeige und der Verlust der Beute. Manchmal musste er still im Wasser ausharren, bis cajón – so nannten sie den Dorfpolizisten wegen seiner Ähnlichkeit mit einer hohlen Kiste – seinen Rundgang beendet hatte. In seiner kindlichen Vorstellung glich die zu erwartende Bestrafung einer mittelalterlichen Anprangerung.
Die Tauchausrüstung aber, die sie jetzt benutzten, verwandelte alles in ein beschauliches Gleiten über Felsen in blauen Stufen hinab ins Dämmerlicht der Seegraswiesen. Schwärme silbriger Fischchen schossen in akkurat geformten Schwärmen an ihm vorbei. Schnellen Drehungen folgte ein scheinbar ungeordnetes Auseinanderstieben, doch im Bruchteil einer Sekunde war die ursprüngliche Formation wieder da.
Elena, die vor ihm schwamm, deutete auf die Felswand, an der sich ein Tintenfisch fast unsichtbar fortbewegte. Sein tellergroßer Kopf wurde von den fließenden Bewegungen der Arme getragen, die sich mit den Wellen der Dünung an die unterseeischen Gebirge schmiegten.
Das Licht der Außenwelt verblasste, und sie waren auf ihre Stablampen angewiesen. Der Meeresgrund stieg an. Gewaltige bemooste Steinquader, wie die Bauklötze eines Riesenkindes auf den Boden geworfen, gingen über in glatt gewaschene Plateaus. Er fühlte eine starke, eiskalte Gegenströmung. Elena hatte mit ihrer Vermutung Recht gehabt.
Er tauchte auf.
Als er seine Brille abnahm, fand er sich in einer Höhle wieder. Elena hatte bereits ihre Flossen abgelegt und erwartete ihn im Schein ihrer Lampe. Sie leuchtete auf die Wasseroberfläche, wo ein merkwürdiger Fremdkörper trieb: ein Bürostuhl mit Aluminiumbeinen und hölzerner Sitzfläche. Er versuchte ihn zu erreichen, aber die Strömung hatte ihn schon zu weit fortgetragen.
Die Höhle war etwa vier Meter hoch, zwanzig Meter breit und verlor sich nach hinten im Dunkel. Die einzigen Lichtquellen waren die Kegel ihrer Lampen und die irisierenden Reflexionen der Wasseroberfläche an der Decke.
Vorsichtig erkundeten sie das Terrain. Außer dem Geräusch fallender Wassertropfen und dem leisen Klatschen des Meeres weit hinter ihnen war es totenstill. Costa betastete die Höhlenwand und winkte Elena zu sich. »Das ist Beton«, sagte er. Das riesige unterirdische Gewölbe trug seine Stimme weit in die Dunkelheit, warf sie wie einen weichen Ball hin und her, ließ sie zurückkehren und mit sonorem Hall an ihren Ohren platzen, so dass sie sich wie zwei Kinder ansahen und lachen mussten. Das Echo nahm das Gelächter auf, und es wurde immer lauter und fremder.
Während sie unbeweglich standen, bis alles verklungen war, ließ er den Lichtkegel seiner Stablampe die Wände hinauf- und hinunterwandern. Plötzlich blitzte etwas. Er leuchtete dorthin und erkannte eine Edelstahltür. »Was hältst du davon?«
»So was bringt man hier nicht unter Wasser rein. Es muss noch einen zweiten Zugang geben.«
»Was liegt über uns?«
»Ich denke, wir sind hier irgendwo unterhalb des Mühlenhügels, außerhalb der alten Stadtmauern.«
Er nickte. Das war auch seine Vermutung.
Die Stahltür stand offen. Dahinter war ein abgetrennter Raum von der Größe einer Garage. In der Mitte sah er einen großen Metalltisch, am Boden umgestürzte Regale und zwei weitere Stühle, die auf der Seite lagen. Vorsichtig gingen sie hinein, und er leuchtete alles ab. In einer Ecke entdeckte er ein paar verwaschene Papierfetzen. Er nahm einen auf und hielt ihn ins Licht. Es waren bunte Aufkleber, die vom Wasser durchweicht, getrocknet und verkrumpelt waren. Die Schrift war kaum noch zu erkennen.
»Not for commercial
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