Brennende Schuld
seiner. Auch sie war anfangs in Spanien zur Schule gegangen, dann mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen, wo sie Abitur machte. Schließlich war sie zur Polizei gegangen, wenngleich sie sich früher als er entschieden hatte, nach Spanien zurückzukehren.
Dazu sah sie gut aus, selbst dann, wenn man sie nachts aus dem Schlaf rief. Sie scheute keine Schwierigkeiten, dort, wo alle noch zögerten. Sie hatte gute Ideen, war kooperativ, und Intrigen waren ihr fremd. Auffällig war einzig, dass sie offenbar keinen Freund hatte, seit er sie kannte. So blieb nicht aus, dass es bei der Einheit das Getuschel gab, sie sei lesbisch. Das schien ihr nichts auszumachen. Sie war Einzelgängerin. So stand es auch in ihrem Personalbogen.
Mittlerweile waren sie auf der Seeseite der Burg, deren metergroße Quader über ihnen in den Himmel ragten. Vor vielen hundert Jahren hatte sie der Maurenkönig Yebisah aus den Steinbrüchen der Insel schlagen lassen, mit Pferden waren sie mühsam hinauftransportiert und mit Seilen zu einer uneinnehmbaren Mauer getürmt worden. Sein liebestoller Bruder hatte den kastilianischen Christen einen geheimen Tunnel in die Burg verraten und ihnen damit zur Eroberung der Insel verholfen. Der Preis für diesen Verrat war eine schöne Sklavin, die ihm sein königlicher Bruder nicht überlassen wollte. Der Anführer der christlichen Streitmacht versprach, sie ihm nach Einnahme der Stadt zu übergeben. Die Stadt fiel, und damit war die Herrschaft der Araber im 13. Jahrhundert beendet. Der König wurde erschlagen, und sein verräterischer Bruder bekam die schöne Sklavin aus Granada als Lohn.
Costa fiel ein, dass auch Elena aus Granada war.
Sie kniete gerade auf einem vorgelagerten Felsen am Ende ihres Weges. Ab hier hatten die Gezeiten die Küste der Insel unterspült. Ohne Bergsteigerausrüstung war ein Weiterkommen unmöglich. Costa setzte sich neben sie, um langsam wieder zu Luft zu kommen. Er schaute den winzigen Krebsen zu, die in den Salzwasserpfützen wimmelten. Das Meer war ruhig, keine Welle schlug an den Stein, nur ein leichtes Kräuseln bewegte die moosigen Pflanzen, wenn das Wasser sich zurückzog – türkis, wo der Grund sandig war, dunkelblau über den Seegraswiesen.
Unter den Überhängen aus roter Erde war das Wasser schwarz. Elena ließ ein Papiertaschentuch herunterfallen und beobachtete, wie es ein Stück hinaus aufs Meer trieb. Erst schneller, dann langsamer.
»Hier unten ist eine Höhle«, sagte sie. »Von da kommt die Strömung. Vielleicht eine Süßwasserquelle.«
Er kraxelte weiter in Richtung der Höhlenöffnung, stellte den Test selbst noch einmal an und gab ihr Recht.
»Kannst du tauchen?«, fragte sie ihn.
»Besser als du«, entfuhr es ihm in kindischem Ehrgeiz, mit dem er seine schlechte Kondition wettmachen wollte.
Er hielt die Strömung für zu schwach, aber er hatte Lust, mit ihr zu tauchen.
Auf der Fahrt zum Depot der Küstenwache, wo man ihnen Anzüge, Gasflaschen und starke Lampen aushändigte, schwiegen sie. Erst auf der Rückfahrt fragte er, woran sie dachte.
»An den Traum, von dem du am Strand erzählt hast. Unser Seemann war in deinem Traum so eine Art netter Familienvater. Sollte das vielleicht deine ersehnte Familienidylle mit Karin und deinen beiden Kindern sein?«
Er blickte sie irritiert von der Seite an.
»Ich meine, wäre doch verständlich.«
»Was wäre daran verständlich? « , sagte er wenig amüsiert.
Sie grinste ihn fröhlich an und sagte: »Da hast du Sabine gegen Karin ausgetauscht und dich selbst zu dem gemacht, was du deiner Meinung nach für deine beiden Frauen bist.«
»Nämlich?« Sein Ton war nun schon leicht genervt.
»Zu einem Behinderten.« Sie lachte.
»Sehr witzig. Darauf wäre ich wirklich nicht gekommen«, sagte er säuerlich. »Aber vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man einmal von dem unbedeutenden Umstand absieht, dass der Knabe in meinem Traum kein Gesicht hatte. Eine heile Familie, stimmt, davon habe ich immer geträumt. Und Karin als glückliche und liebevolle Mutter meiner Kinder, super. Müsste ich vielleicht doch eine andere suchen, oder?«
Weil sie nicht reagierte, fuhr er fort: »Gut, suchen wir eine andere, dürfte ja kein Problem sein. Das einzige Problem, ich müsste vorher möglicherweise noch herausfinden, wie und wo ich mein Gesicht verloren habe. Oder?«
Sie berührte ihn kurz an der Schulter. »Entschuldige. Tut mir leid. Du hast ein Gesicht, das alle Frauen lieben. Ich würde kein neues
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