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Brennende Schuld

Brennende Schuld

Titel: Brennende Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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gehabt hätte. (Ich friere die ganze Zeit, schrieb sie in ihr Tagebuch.)
    Onkel Jaume war mit seinem Omelette schon fertig, hatte den Teller von sich geschoben und die Arme vor der Brust verschränkt. Er hörte Margarita zu, nickte oder rieb sich immer mal wieder mit Daumen und Zeigefinger die Nase. An ihm war nichts auffällig, weder die Figur noch die Bewegungen, nichts im Gesicht, nicht seine Frisur. Sie fragte gelegentlich den einen oder anderen der Besucher, ob er oder sie Onkel Jaunies beschreiben könne, doch niemand ging darauf ein, was sie als Beleg nahm, dass Jaunie Prats ein unbeschreibbares Nichts war.
    Ihr fiel auf, dass die Mutter alles änderte, nachdem ihr Papi weg war. Vorher waren es kurze Fingernägel, jetzt sehr lange, Perlmutt lackierte. Sie machte sich schon vormittags fein, weil sie zu Mittag oft außerhalb aßen. Trasilio und sie waren nie in ein Restaurant gegangen. Das Haar kämmte sie zwar immer noch nach hinten, aber es floss in einen dicken Zopf, in den Diamantschnüre eingeflochten waren. Ein schwarzer Draht stützte ihn innen und bog sich am Ende zu ihrem Hals hinauf, was den Zopf zu einem Skorpion machte.
    Sie war eine sehr schöne Frau, aber wer das nicht zuzugeben bereit war, erwähnte nur ihre Krankheit, die sie zu täglicher Einnahme von Insulin in gelben Patronen zwang, und sah nur ihre schmale lange Nase, ihren kleinen Schmetterlingsmund und ihr entschiedenes Kinn. Das Schönste an ihr waren ihre hohe, gut geformte Stirn, die dunkelbraunen Augen und die großzügig geschwungenen Augenbrauen. Sie hatte auch große Ohren, aber das merkte man nur, wenn man nicht aufs Ganze sah, nicht fasziniert war von der intensiven Konzentriertheit, die von ihr ausging. Auch das war neu – eine Energie, das Leben zu beherrschen. Das war der Mutter bewusst, denn sie unterstrich sie mit allem, was ihr zur Verfügung stand.
    Onkel Jaume nickte wieder, rieb sich die Nase und wollte etwas sagen, aber die lange schmale Hand der Mutter flatterte auf wie eine Taube, die keinen Platz gefunden hat, flog in einer Welle über den Tisch, knickte am Handgelenk ein, machte mit den Fingern schnelle Schritte in der Luft, flog wieder auf, und dann lachte sie. Sie lachte jeden Tag mehr.
    In diesem Punkt hatte sie mit ihrer Tochter die Rollen getauscht. Früher war diese ein Überschwang an Lebensfreude gewesen, jetzt wirkte sie streng und düster. Beim Frühstück brütete sie darüber nach, wann die Mutter je die Hände in dieser Weise bewegt hatte. Nun war sie eine Frau, die nicht einen Fussel an ihrem eleganten Kostüm duldete. Sie fasste ein Stück Brot an, rieb ihre Finger in sich wiederholenden Intervallen nervös aneinander, auch wenn sie nichts in die Hand genommen hatte, und schlug mit einer schnellen Bewegung aus ihrem Handgelenk über Pullover oder Rock, so als wären überall Brotkrümel verstreut.
    Die Mutter erklärte Onkel Jaume etwas, das wie eine Erinnerung an die von ihr zuletzt gelesene Illustrierte klang – es ging um Ausstellungen, Reisen in andere Länder, Mode, eine bessere Ernährung, die neueste Faltencreme. Sie wiederholte sich und erzählte Dinge aus ihrem Bekanntenkreis, der nach der Beerdigung ziemlich gewachsen war. Sie sprach von einem Spanier, der ein Menuett von Mozart auf die Gitarre übertragen und es im Fernsehen gespielt hatte. Sie beschrieb ein neues Hotel in Madrid, in dem für Julio Iglesias eine Party gegeben worden war. Sie erwähnte einen neuen Modekönig in Barcelona und sagte, dass Ibiza sich ein Beispiel an Teneriffa nehmen solle, wandte aber gleich ein, das würde niemals passieren, lachte darüber und schob sich die Hälfte eines Croissants in den noch lachenden Mund. Sie legte das Croissant auf den Tisch und rieb ihre Finger wieder flink aneinander, um die Krümel loszuwerden. Dann erzählte sie über eine Einladung und drückte ganz schnell den Rücken ihres Zeigefingers gegen die Augenlider, wobei sie ihr Gesicht in die Länge zog, als hätte sie etwas Saures geschluckt. All ihre Bewegungen waren flatterhaft, wie ein Schwarm Spatzen, der sich zuerst auf einem Stück Brot niederlässt und dann wieder auffliegt, um sich kurze Zeit später wieder darauf zu stürzen.
    All die Veränderungen waren so überraschend und mit solch einer Spannung über die Tochter gekommen, dass sie sich fühlte, als steckte sie in einem zu engen Gummianzug. Sie stand auf, um ihren leeren Teller wegzustellen. Ihre Beine wollten sich kaum bewegen. Steif ging sie zum Waschbecken. Als sie die

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