Brennende Schuld
Gemeinschaftseigentum der Menschheit, so wie nun auch die Nekropolis. Zusammen mit den Pyramiden, der Chinesischen Mauer und dem Vatikan.« Sie winkte Costa zu sich an den Schreibtisch und zeigte ihm ein in Leder gebundenes Buch, in dem sie gelesen hatte. »Die Geschichte der karthagischen Kolonie Ebusim, verfasst von den Historikern Timaios und Justin, 100 nach Christus. Hasdrubal war damals Statthalter. Ihm folgte Hamilkar. Hamilkars Sohn soll auf einer der Inseln vor San Antonio geboren sein. Hannibal.«
Hannibal erinnere ihn an sein letztes Volksschuljahr auf der Insel, sagte er, wodurch deutlich wurde, dass er zu dem Thema nichts beitragen konnte.
Sie lachte. »Das erzählen die ibizenkischen Mütter ihren Kindern. Hannibal, der Sieg um Sieg errang und keinen Nutzen daraus ziehen konnte. Die Entschiedenheit für ein klares Ziel hatten die Römer, daher siegten sie und vernichteten Karthago ohne Zögern und Gnade. Karthago erholte sich nie mehr, und Hannibal beging Selbstmord.«
Sie dachte einen Moment nach. »Es ist zwar eine Sage. Aber der Gedanke, dass Hannibal von hier ist, einer von uns, weckte eben unser Interesse an den Kriegen der Römer mit den Karthagern.«
Sie lächelte. »Sagen helfen uns auch bei der Forschung weiter. Oft genug gibt es Schnittstellen zur historischen Realität. Der Sage nach wurde Kart-Hadascht, Karthago, im Jahr 800 vor Christus aufgrund eines Betruges gegründet: Die aus Tyros, also dem Libanon, geflohene Königin Dido, von den Römern Elissa genannt«, sie betonte den Namen so, dass die Ähnlichkeit mit dem katalanischen Namen Ibizas, Eivissa, herausklang, »erbat sich vom Herrscher der Region, die heute Tunesien heißt, nicht mehr Land, als auf eine Kuhhaut ginge. Der König stimmte zu, und sie zerteilte das Tierfell in so dünne Streifen, dass sie damit ein Gebiet von mehreren Hektar umspannen konnte. Die mit ihr geflüchteten Phönizier nannten sich fortan Punier.« Sie machte eine Pause, wie um zu sehen, ob er ihr folgte. »Eine Sage. Aber das Datum der Gründung stimmt. Ich selbst habe es nachweisen können. Die Gründer Karthagos, was so viel wie ›Neue Stadt‹ heißt, würde man heute Fundamentalisten nennen, die beständig auf der Flucht waren. Ihr Reich war unsichtbar, aber riesig. Sie besaßen keine prunkvollen Städte, sondern nur ihre leichten, schnellen Boote. Nomaden des Meeres, reich, mächtig und von allen Völkern des Mittelmeeres gefürchtet. In Tyros und Sidon hatte man sich den Nachbarvölkern angepasst und die Menschenopfer abgeschafft. Kein Gott hatte sich seit Jahrhunderten darüber beschwert, und es herrschte Friede im Libanon. Als punische Karthager jedoch waren sie wieder eine Kriegsmacht, die auch Söldner aus allen Teilen des Mittelmeers anheuerte. Elefantenführer aus Mittelafrika, Reiter aus Nubien, schweres Fußvolk aus Gallien und Iberien, die berüchtigten balears, das waren die Steinschleuderer von Ibiza und Mallorca, denen die Inseln ihren Namen verdanken. Die karthagischen Fürsten auf ihren schwarzen Pferden, die ›Heilige Schar‹ waren das Herz des vierzigtausend Mann starken Heeres.«
Er dachte nicht, dass sie ihm im Moment weiterhelfen könnte, doch da sagte sie schon: »Aber deswegen sind Sie nicht gekommen, oder?«
»Nein, ich wollte Sie nach einer Erinnerung fragen. An eine Beerdigung.« Doch bevor er auf sein Jungenderlebnis kommen konnte, unterbrach sie ihn.
»Gibt es etwas, das uns verbindet?« Sie betrachtete ihn streng wie eine Lehrerin, die ein Eingeständnis erwartet.
»Wir kennen uns von früher. Ich war einmal mit Ihnen auf einer Beerdigung«, sagte er.
»So?« Sie dehnte das Wort, und es klang abwehrend und skeptisch. Vielleicht sogar höhnisch. »Welche Beerdigung sollte das gewesen sein?«
Irgendwie sah er plötzlich den Sinn dieser gemeinsamen Erinnerung nicht mehr und sagte, es habe nichts zu bedeuten, seine Großmutter habe ihm erzählt, sie beide seien als Kinder mal zusammen auf einer Beerdigung gewesen.
»Es war die Beerdigung meines Vaters. Sie weinten, und ich sagte Ihnen, es sei nicht nötig, dafür gebe es keinen Grund. Erinnern Sie sich daran?«
»Nein.« Er konnte sich nicht erinnern, er konnte sich nicht einmal erklären, wieso der Tod ihres Vaters kein Grund gewesen war, zu weinen.
»Sie waren die meiste Zeit im Ausland«, sagte sie, und es war klar, dass sie das Thema wechseln wollte. Sie deutete auf eine braun angelaufene Kaffeemaschine, doch er lehnte mit freundlich erhobenen Händen ab.
Sie
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