Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennende Schuld

Brennende Schuld

Titel: Brennende Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
Vom Netzwerk:
Calle Arxiduc Lluis Salvador und der Calle Juan de Xico für den Verkehr gesperrt. Über die Straße spannten sich Ketten mit bunten Fähnchen, auf denen Associació de amics del museo arqueologico d’Eivissa und World Heritage Committee of the United Nations zu lesen war.
    Er saß auf der Mauer neben der Freitreppe und beobachtete den Aufmarsch der Mächtigen, der einer Dorfprozession aus vergangenen Zeiten glich, nur dass niemand mit blumengeschmücktem carrón und herausgeputztem Pferd vorfuhr, sondern mit glänzender Limousine und Chauffeur.
    Der erste Wagen trug das Nummernschild der Regierung. Ihm entstieg der ehrenwerte Inselrat für Umwelt, El Honorable Jaume Prats. Costa schätzte den Politiker auf Mitte sechzig. Seine schmalen Schultern steckten in einem eleganten Jackett. Sein schwarzes Haar war glatt zurückgekämmt, und die Augen, hellblau und hartnäckig, taxierten die Umgebung im Zeitraffer. Zwei Bodyguards schirmten ihn ab. Mit welchen Gefahren rechnete der Mann? Die ETA hatte sich hier noch nie gezeigt, und Übergriffe phönizischer Fundamentalisten erwartete er sicher nicht. Hatte er Drohungen erhalten?
    Nun fuhr ein dunkelgrauer Bentley vor. Jeder kannte das Auto mit dem Nummernschild IB-CM-1. Der Gouverneur stieg sehr langsam aus, gestützt von seiner Tochter Estrella, einer bemerkenswerten Schönheit, die er schon mit zweiunddreißig zur Verkehrsinselrätin gemacht hatte. Carlos Matares war von den Folgen einer Herzoperation gezeichnet, die ihm drei Bypässe und die Hochachtung der Bevölkerung eingebracht hatte, da er sich für diesen Eingriff nicht in die weltberühmte Klinik im Baskenland begeben, sondern sein Leben dem ibizenkischen Krankenhaus anvertraut hatte.
    Auf der anderen Straßenseite bemerkte Costa einen Mann, der das Geschehen ebenfalls interessiert verfolgte. Wären nicht die langen braunen Haare und der Sturzhelm, den er in einer Hand hielt, gewesen, wäre er ihm in der gaffenden Menge nicht aufgefallen. Für einen Moment versperrte ihm der Bus der UNESCO-Delegation die Sicht. Danach war der Mann verschwunden.
    Er warf einen Blick auf die Uhr. Karin war seit über einer halben Stunde weg. Er überlegte, ob er noch im Café gegenüber einen carajillo trinken sollte.
    Die Entscheidung wurde ihm jedoch abgenommen, denn nun beehrte Josefa Costa Mari, die neunzigjährige Matriarchin der Familie, das Fest. Sie kam in Begleitung ihres Sohnes Joan, und unter den Schaulustigen wurde der Name El Cubano getuschelt. Sie schritt die Treppenstufen hinauf, ohne sich am Geländer zu stützen. Seit einigen Jahren trug sie bei öffentlichen Anlässen wieder die Tracht ihrer Vorfahren, wenn auch modernisiert von einem Couturier in Madrid. Ihr schwarzes Kleid mit dem purpurnen Schultertuch wirkte wie die Samtunterlage eines Juweliers für die glänzende S ’Emprendada, das ibizenkische goldene Geschmeide, das sie trug und das in vergangenen Zeiten den Reichtum der Familie ausdrückte. Auf der obersten Stufe hielt sie inne, drehte sich um und schaute mit Adlerblick in die Menge. Sie nahm sich alle Zeit, und die Nachfolgenden warteten respektvoll.
    Als sie Costa sah, winkte sie. Er folgte ihrer Aufforderung, und als er zur Begrüßung etwas sagen wollte, nahm sie sein Gesicht in beide Hände, um ihn zu küssen.
    Costas Onkel gab ihm einen Schlag auf die Schulter. Er war ein beeindruckender Mann. Wenn er einen Raum betrat, spürte man eine gefährliche, nur oberflächlich kultivierte Kraft. Dass er seinen siebzigsten Geburtstag bereits ein halbes Jahr hinter sich hatte, konnte ihm niemand ansehen. Sein Haar, an den Schläfen leicht ergraut, war streng nach hinten gekämmt, und seine sonore Stimme, mit der er Freunde und Bekannte schon von weitem begrüßte, ließ Umstehende erst einmal verstummen.
    Er nahm die kubanische Zigarre aus dem Mund und küsste seinen Neffen links und rechts auf die Wangen. Grinsend sagte er: »Wartest mal wieder auf deine Freundin?«
    Josefa gab ein Zeichen, und die ganze Prozession bewegte sich in die Halle des Museums. Von der Decke hingen bodenlange Fahnen mit dem Wappen des Govern Balear, und über die eigens errichtete Bühne ergoss sich ein Meer von Blumen. Livrierte Hostessen reichten Champagner und Fruchtsäfte, während die Gäste in kleinen Gruppen zusammenstanden, Ausgrabungsstücke in den Vitrinen bewunderten und ab und zu einen erwartungsvollen Blick auf das Podium warfen. Alle waren sich der Bedeutung dieser Feier bewusst – bis auf einen.
    Costa kannte ihn:

Weitere Kostenlose Bücher