Brennende Schuld
dachte, vielleicht versuche ich’s mal«.
Sie nahm ihr Glas von der Balustrade. »Und Sie meinen, das bewirkt mehr?«
Er überlegte, ob er sie stehen lassen sollte. Der Ton zwischen ihnen hatte sich gewandelt, seit er Karin erwähnt hatte, und ihm schien, als widerfahre ihm nun das Gleiche wie zuvor bei ihr. Vielleicht sollte er nie mehr mit der einen über die andere sprechen.
Sie trank ihr Glas in einem Zug leer und warf es in weitem Bogen hinter sich über die Brüstung. »Wenn sie die Scherben in zweitausend Jahren finden, werden sie sich fragen, worüber wir uns unterhalten haben.« Sie schien es sich bildhaft vorzustellen.
Er konnte damit nichts anfangen und wollte nun endlich die Frage stellen, die ihn eigentlich beschäftigte. »Die alte Finca, die Sie mir letzte Woche gezeigt haben, was ist damit passiert?«
»Gestern Morgen wurde sie abgerissen. Dafür, dass es so schnell ging, hat mein Stiefvater gesorgt. Er wollte, dass heute alles repräsentabel ist. Sie werden weder eine leere Chipstüte noch eine Zigarettenkippe auf dem Gelände finden.«
Costa war erstaunt. Seit wann kümmerte sich der Inselrat persönlich um Ruinen? Diese Feier schien ihm sehr am Herzen zu liegen. Oder war es seine Tochter, die ihm am Herzen lag? Die Mutter war früh gestorben, wie lange hatten sie eigentlich zusammengelebt?
»Ich habe Prats eben hereinkommen sehen. Sie sehen ihm ähnlich.« Es klang nicht so, wie er es wollte.
Sie warf den Kopf in den Nacken. »Das sagen viele. Liegt wahrscheinlich an unserem energischen Auftreten. Blutsverwandt sind wir nicht. In Wahrheit sind wir sehr verschieden.«
Wie mochte es in dieser Familie ausgesehen haben, als Laureana Kind war? Ein Selbstmord wegen der Schuld am Tod anderer und dann die Heirat der Mutter so kurz nach dem Tod ihres Mannes mit dem Rivalen. Wie mochte sie das alles aufgefasst haben? Als Sieg des Rivalen über den Vater? Sie musste im Alter von Annalena gewesen sein, also neun, als ihre Familie zerbrach.
»Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Stiefvater?«, fragte Costa.
»Jaume hat mir immer geholfen, wenn es seinen Interessen nicht im Wege stand.« Sie überlegte. »Er ist ein Machtmensch und duldet niemanden neben sich. Jetzt hat er eine Niederlage einstecken müssen, und ausgerechnet durch mich.«
Costa hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. »Eine Niederlage?«
»Jaume Prats wollte das Gelände hier, ohne mit der Wimper zu zucken, zu Bauland erklären lassen. Fünf Hektar im Herzen einer schnell expandierenden Stadt sind nicht wenig.« Sie lächelte grimmig. »Natürlich hätte er das eine oder andere Stück aus den Gräbern gerettet und dem archäologischen Museum geschenkt, bevor er den Berg abgetragen und ein neues Viertel errichtet hätte. Ein Monument modernster und hässlichster Profitgier. Die C’an-Jaume-Prats-Wohnsilos. Wie meine Mitarbeiterin sagte: Von der Nekropole zur Metropole. Nur«, sie stützte sich mit den Händen ab und setzte sich schwungvoll auf die Balustrade, ohne auf ihr Abendkleid zu achten, »hat er nicht damit gerechnet, dass ihm jemand in die Parade fährt. Bis zum Kongress der UNESCO in Marokko hatte er keinen Schimmer, wer der Antragsteller war. Ich hätte gerne sein Gesicht gesehen, als er es erfuhr.«
»Vielleicht empfindet er es nicht als Schlappe, weil es von seiner Tochter kommt.«
»Nun, er ist Politiker. Als er sah, dass die Schlacht nicht zu gewinnen war, sprang er auf den Zug auf und machte sich zum heroischen Vorkämpfer für die Gegenseite. Er hält heute sogar den Vortrag über die Bedeutung der Nekropolis als Weltkulturerbe.«
»Nicht jeder kann mit solch schnellen Kurswechseln gelassen umgehen.«
»Stört mich nicht. Mir geht es nur um das Ziel. Reden halten kann er ohnehin besser. Warum holen Sie Ihre Freundin nicht dazu?« Das Letzte sagte sie ohne Zäsur oder Übergang. Doch bevor Costa reagieren konnte, betrat die rothaarige Sekretärin die Terrasse und gab Laureana Sanchez ein Zeichen, dass es Zeit wäre, hineinzugehen. Costa begleitete sie und gesellte sich wieder zu Josefa, die mit ihm ein Gespräch über seine Kinder anfing.
Als er Karin sah, winkte er, aber sie war zu sehr in ihr Gespräch vertieft. Der Mann, mit dem sie sich unterhielt, war Costa unbekannt, zweifellos ein Ausländer. Er war groß, schlank, sportlich – ein Aussehen, das zweifellos auf Frauen wirkte. Wahrscheinlich musterte er ihn jetzt mit »diesem männlichen Fotoblick« – wie seine Ex in Hamburg das immer genannt hatte, Seele
Weitere Kostenlose Bücher