Brennende Sehnsucht
Schreibtisch herum und nahm ihren Arm.
»Setzt Euch, Phoebe. Was ist passiert? Ihr seht aus wie der Tod.«
Sie reichte Calder den Brief. Ihre Hände zitterten nicht. »Das hier trägt keine Unterschrift. Ist es seine Handschrift?«
Calder las sorgfältig. Dann schaute er auf, und die Wahrheit ruhte in seinem Blick. »Rafe und ich hatten denselben Lehrer. Ich habe üblicherweise die Hausaufgaben für ihn gemacht, wenn er sie vergessen hatte. Unsere Handschrift ist so gut wie identisch. Das hier«, er faltete den Brief und schob ihn von sich, als könnte er seinen Anblick nicht ertragen, »könnte von mir geschrieben sein.«
Die Zeit stand still. Um sie herum wurde es grau. Selbst der Atem in ihrer Lunge fühlte sich an wie Winter.
Sie bemerkte dumpf, dass sie das Zimmer durchquert hatte, um mit blindem Blick aus dem Fenster zu starren. Da stand sie, stützte sich mit ihrer bloßen Hand am Fensterrahmen ab – doch merkwürdigerweise fühlte sie sich, als schwebte sie über ihnen beiden und sähe hinab auf zwei einsame Menschen in der Stille verlorener Hoffnung.
Calder holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. »Phoebe«, sagte er, und in seiner Stimme lag eine raue Zärtlichkeit. »Welchen Sinn hat es, jemanden zu lieben, wenn diese Liebe vergeudet ist?«
Phoebe lehnte die Stirn an das kühle Fensterglas und beobachtete den leichten Frühlingsregen auf der anderen Seite herunterrinnen. »Ist das möglich?« Der graue Tag war nicht bedrohlich, sondern bestätigte nur ihre Stimmung. »Kann Liebe je vergeudet sein? Ist nicht das Lieben selbst etwas wert, ganz allein für sich?«
»Jetzt bewegt Ihr Euch in einer Region, die mir nicht vertraut ist.« Calder lehnte sich an den riesigen Schreibtisch und streckte die langen Beine vor sich aus. »Ich bin kein
Philosoph. Ich denke nicht über den Sinn meiner Existenz nach. Ich weiß bereits, wohin ich gehöre.«
Phoebe schloss die Augen. »Dann seid Ihr wirklich ein beneidenswerter Mann, Lord Brookhaven. Ich hoffe sehr, dass Ihr einmal jemandem begegnet, der Euch direkt aus diesem hübschen kleinen Baum schüttelt.«
Er lachte. Es war ein blechernes Bellen. »Ich fürchte, es würde einer ganzen Armee bedürfen, um mich zu Fall zu bringen.«
»Eine Armee oder einen Pfeil. Früher oder später trifft die Liebe jeden, denke ich, zumindest sollte sie es, wenn es irgendeine Gerechtigkeit in der Welt gibt.«
»Seid Ihr jetzt verbittert?«
Phoebe öffnete die Augen und schaute mit leerem Blick in die dunstige Ferne. »Nein, das bin ich nicht. Ich bin nur traurig – und vielleicht ein bisschen böse -, aber nicht verbittert.« Noch nicht. Würde sie es eines Tages werden? Sie könnte Rafe verzeihen, ihr nachgestellt zu haben, und sie könnte ihm verzeihen, sie verlassen zu haben, aber könnte sie ihm jemals vergeben, wenn sein Tun ihr Herz für immer verhärtete?
Wahrscheinlich nicht. »Ihr seid nicht überrascht. Ich kann es spüren. Was verheimlicht Ihr mir?«
Calder lehnte sich zurück. »Das würde ich lieber nicht sagen.«
Phoebe wandte sich um und sah ihn an. »Ihr und ich, wir waren gegenüber einander immer offen, seit Ihr mich im Blue Goose gefunden habt. Bitte lasst mich jetzt nicht im Stich.«
Calder sah auf den Teppich. »Als er mit Euch davongefahren ist, hat er einiges mitgenommen, aber er hat seinen Siegelring in seinem Zimmer liegen lassen. Da er ihn fast nie abgenommen hat, muss ich das als ein Zeichen sehen, dass
er nicht die Absicht hat, jemals zu seiner Familie oder seinem Heim zurückzukehren.«
So.
Sie atmete einen weiteren eisigen Luftzug ein, der in ihrer Brust wehtat. »Ich werde jetzt packen gehen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich meinen Vater nach Thornhold zurückbegleite.«
Zurück zu ihrem strengen Gefängnis. Zurück zu endloser Überwachung, die jetzt doppelt gefährlich wäre. Sie war dieses Mal längst nicht so diskret gewesen. Ihre lächerliche Lüge im Wirtshaus wäre leicht aufzudecken, wenn sich jemand die Mühe machte. Wenn sie jetzt von der Bildfläche verschwand, hatte man sie vielleicht schon vergessen, wenn es sich herumsprach, dass Lord Marbrook mit unbekanntem Ziel aus London geflohen war.
Auch Calder erhob sich. »Miss Millbury, Phoebe, ich kann nicht umhin, mich teilweise für diese Situation verantwortlich zu fühlen.«
Phoebe blinzelte ihn überrascht an. »Mylord, Ihr seid nichts als das ehrenwerte Opfer.«
Calder errötete leicht. »Nicht wirklich ehrenwert. Ich wusste...« Er räusperte sich,
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