Brennendes Land
Kriegsfront zu einer neuen Entwicklung.
Die Niederlande kapitulierten.
Die niederländische Premierministerin gab eine Erklärung ab. Sie war eine kleine, grauhaarige, verbitterte Person. Sie sagte, für ein unbewaffnetes Land wie die Niederlande sei es aussichtslos, gegen die letzte militärische Supermacht der Welt Widerstand leisten zu wollen. Sie sagte, ihr Volk müsse die katastrophalen Auswirkungen einer Bombardierung der Deiche unter allen Umständen vermeiden. Sie sagte, das unerbittliche Ultimatum Amerikas habe den Widerstandswillen ihres Landes gebrochen.
Sie bot die bedingungslose Kapitulation an. Sie sagte, das Land öffne seine Grenzen, die kleine Armee werde die Waffen niederlegen und die Besatzertruppen einlassen. Sie sagte, sie und ihr Kabinett hätten soeben die Kapitulationserklärung unterzeichnet und die niederländische Regierung werde sich um Mitternacht auflösen. Sie erklärte den Krieg für beendet, anerkannte den Sieg der Amerikaner und appellierte an das amerikanische Volk, sich der langen Tradition von Großmut gegenüber dem besiegten Gegner zu besinnen.
Die Rede währte acht Minuten. Und der Krieg war vorbei.
Einen seltsamen historischen Moment lang waren die Vereinigten Staaten außer sich vor Freude, doch der Wahnsinn hatte bemerkenswert wenige Verletzte und Tote zur Folge. Die lange Zeit der Not hatte die amerikanische Öffentlichkeit eigentümlich widerstandsfähig gemacht. Es dauerte gerade mal acht Stunden, bis die ersten Netzweisen erklärten, weshalb der totale Sieg unausweichlich gewesen sei.
Der totale Sieg hatte seine Vorzüge. Das Prestige eines Heldenpräsidenten war einfach überwältigend. Seine Umfrageergebnisse schossen bis auf neunzig Prozent empor und blieben dort wie festgenagelt hängen.
Der Präsident ließ sich von der Entwicklung nicht überrumpeln. Er vergeudete keine Zeit; kaum eine Stunde, kaum eine Picosekunde.
Er erließ eine Durchführungsverordnung und requirierte Maschinen der Fluggesellschaften. Am Morgen landeten amerikanische Soldaten auf allen niederländischen Flughäfen. Die müden Soldaten, die unter dem Jetlag zu leiden hatten, wurden von einer höflichen und gedämpften Bevölkerung begrüßt, die amerikanische Fähnchen schwenkte. Der Präsident wartete kaum die Zustimmung des fügsamen Kongresses ab, erklärte den Krieg für beendet und verkündete den Anbruch einer neuen Ära. Diese Epoche sollte als Rückkehr zur Normalität in die Geschichte eingehen.
Wie ein Zauberer, der ein Fass mit Schwertern durchbohrt, machte sich der Präsident daran, die amerikanische Politik unblutig neu zu gestalten.
Das Normalisierungsmanifest war ein recht erstaunliches, achtundzwanzig Punkte umfassendes Dokument. Es ließ so viele der zersplitterten amerikanischen Parteien ohne Kleider dastehen, dass diese nur staunen konnten. Der Aktionsplan des Präsidenten wies nur geringe Ähnlichkeit mit seinem Parteiprogramm oder den Grundsätzen des Linken Traditionsblocks auf. Das Aktionsprogramm des Präsidenten verblüffte alle.
Der Dollar sollte stark abgewertet und wieder zu einer globalen, frei konvertierbaren Währung werden. Eine Generalamnestie sollte zur Freilassung all derer führen, deren Vergehen auch nur von ferne einen politischen Hintergrund hatten. Ein neues Steuersystem sollte die Ultrareichen schröpfen und den Kohlendioxidausstoß drastisch senken. Unbewohnte und ungenutzte Gebäude sollten massenweise verstaatlicht und anschließend an potenzielle Nutzer übergeben werden. Slums und Geisterstädte – und davon gab es zumal im Westen viele – sollten abgerissen und das Gelände anschließend mit schnell wachsenden Bäumen bepflanzt werden. Des weiteren hieß es, Straßenblockaden seien fortan als Wegelagerei zu betrachten und von umherstreifenden Gangs des ZNL, die einstmals selber zu den eifrigsten Straßenblockierern gehört hatten und daher eigentlich wissen sollten, wie man dieser Praxis einen Riegel vorschieben könne, unbarmherzig zu ahnden.
Ein Verfassungszusatz wurde vorgeschlagen, um für amerikanische Bürger, die ›hauptsächlich in virtuellen Netzwerken beheimatet sind‹ einen neuen, vierten Zweig der Regierung zu etablieren. Die achthundertsieben nationalen Polizeibehörden sollten zu vier Behörden zusammengelegt werden. Auch für das so beeindruckend siegreiche Militär wurde ein weit reichender Reformplan vorgelegt.
Des weiteren gab es auch einen nationalen Gesundheitsplan, der mehr oder minder auf dem vernünftigen
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