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Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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den öffentlichen Raum in Besitz genommen.
    Die gewaltlose Verweigerung hatte in Washington strategisch und taktisch ein bislang unerhörtes Ausmaß erreicht. Die funktionsfähigen Bezirke waren in Privatbesitz und wurden von Monitoren und zahllosen Privatschlägern bewacht, während man andere Gebiete den Anwohnern überlassen hatte. Die ideologische Ausrichtung der Besatzer war höchst unterschiedlich, doch während sie mit der Regierung ein prekäres Gleichgewicht hergestellt hatten, hassten sie einander bis aufs Blut. Dupont Circle, Adams-Morgan und das Gebiet östlich des Capitol Hill wiesen Mordraten auf, die beinahe an die des zwanzigsten Jahrhunderts heranreichten.
    In vielen Gegenden Washingtons hatte sich die Einteilung in Straßen und Gebäude schlichtweg aufgelöst. Ganze Stadtviertel waren an die Protestler gefallen, die ihre eigene Kanalisation und ihre eigenen Wasserleitungen und Stromgeneratoren installiert hatten. Die Straßen waren ständig verbarrikadiert und wurden von Tarnnetzen und schmutzigen Plastikplanen verdeckt.
    Besonders erwähnenswert unter den Washingtoner Autonomen waren die Gruppen, die sich als ›Marsianer‹ bezeichneten. Frustriert aufgrund der jahrelangen bemühten Gleichgültigkeit gegenüber ihren heftigen Beschwerden, verhielten sich die Marsianer nun so, als existierte die Regierung nicht mehr. Die Marsianer betrachteten das ganze Gebiet von Washington, DC, als Rohmaterial.
    Ihre Bautechniken waren ursprünglich von einer Gruppe übereifriger prospektiver Marssiedler entwickelt worden.
    Diese längst von der Bildfläche verschwundenen Weltraumfreaks, eine einfallsreiche und fanatische Gruppierung, hatten zahlreiche billige und einfache Techniken entwickelt, die es kleinen Gruppen von Astronauten ermöglichen sollten, die atmosphärelosen, eiskalten Wüsten des Roten Planeten zu besiedeln. Die Menschheit war nie bis zum Mars vorgedrungen, doch mit dem endgültigen Zusammenbruch der NASA waren die Kolonisierungspläne für den Mars öffentlich geworden.
    Die Pläne gerieten in die Hände fanatischer Protestler. Sie gruben sich tief in das morastige Flussbett des Potomac ein, pressten Wasser aus dem Erdreich, formten Ziegel daraus und bauten endlose Gewölbe, Tunnel und Kivas, halb unterirdisch gelegene Lehmbauten, wie sie von den Hopi-Indianern benutzt worden waren. Die Radikalen stellten fest, dass selbst der kargste Flecken Erde im Vergleich zu den luftlosen Wüsten des Mars ein wahres Füllhorn war. Alles, was auf dem Mars funktioniert hätte, funktionierte auf einer verlassenen Straße oder einem aufgegebenen Parkplatz hundertmal besser.
    Der Erfindungsreichtum der NASA trug nun erstaunliche Früchte, und auf den Straßen von Washington entstanden zahlreiche Marssiedlungen. Slums aus komprimiertem Erdreich, zu betreten über labyrinthische Schleusen, klebten wie Wespennester an den Wänden von Gebäuden. In der Nähe von Union Station gab es drei Stockwerke hohe Abraumhalden, und selbst in Georgetown rumpelte es hin und wieder im Erdreich.
    Die meisten Marsianer waren Anglos. Tatsächlich gehörten sechzig Prozent der Einwohner Washingtons dieser bedrängten Minderheit an. Die Verwaltung, berüchtigt für ihre Korruption, wurde von militanten Anglos beherrscht. Die ethnischen Bosse machten regen Gebrauch von ihrer traditionellen Begabung für Betrug, Hacking und Schreibtischverbrechen.
    Obwohl er sich in Washington nicht auskannte, wusste Oscar doch, dass man gut beraten war, die Stadt nicht unvorbereitet zu betreten. Als er ausstieg, zog sich seine Mannschaft mit dem Bus sogleich in die relative Sicherheit Alexandrias zurück. Oscar ging zwei Blocks weit zu Fuß, über einen permanenten Straßenmarkt, wo Blumen, Medaillen, Armreifen, Aufkleber, Fahnen, Kassetten und Weihnachtsgeschenke feilgeboten wurden.
    Er erreichte sein Ziel unbehelligt und in guter Verfassung. Sodann stellte er ohne große Überraschung fest, dass das Regierungsgebäude Hausbesetzern in die Hände gefallen war.
    Oscar wanderte durch die Lobby, vorbei an Metalldetektoren und einem zyklopenhaften Gesichtserkennungsgerät. Der Portier der Besetzer war ein älterer Schwarzer mit kurz geschorenem Kraushaar und einer Fliege. Er reichte Oscar ein ID-Armband.
    Das Computersystem überwachte nicht nur Oscars Bewegungen, sondern auch alles andere in dem Gebäude: Möbel, technische Geräte, Werkzeug, Küchenutensilien, Kleidungsstücke, Schuhe, Haustiere und natürlich die Hausbesetzer selbst. Die

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