Brennendes Wasser
an, doch an ihren Blicken war nichts Sexuelles und auch nichts unbekümmert Wildes, wie sie es von den Chulo kannte. Das hier war pure animalische Gier, ein Verlangen nach Blut und Gewalt. Verstohlen musterte sie den merkwürdig runden weißen Raum mit den schlichten Wänden und der unbehaglich kühlen Temperatur. In seiner Mitte befanden sich ein Computer und eine Schalttafel.
Francesca dachte über die absurden Ausmaße der Möbel nach und fragte sich, ob die übergroßen Stühle, genau wie die niedrige Temperatur, als psychologischer Trick beabsichtigt waren, damit man sich klein und unzulänglich vorkam. Sie konnte sich überall auf der Welt befinden.
Francesca hatte keine Ahnung, wie sie in dieses sterile Zimmer gelangt war, sie erinnerte sich nur noch an das unbestimmte Gefühl, von einem Ort zum anderen gebracht worden zu sein.
An einem Punkt hatte sie geglaubt, Flugzeugtriebwerke zu hören, aber dann erhielt sie eine weitere Injektion und fiel abermals in tiefe Bewusstlosigkeit. Irgendwann spürte sie einen Stich im Arm und wachte auf, als habe man ihr ein Stimulans verabreicht. Als sie die Augen aufschlug, sah sie die Zwillinge.
Seitdem waren einige Minuten vergangen, und niemand hatte ein Wort gesagt. Von Gamay war keine Spur zu entdecken, und auch das beunruhigte Francesca. Sie war geradezu dankbar, als sich zischend die Tür öffnete und eine Frau eintrat, die die beiden grotesken Zwillinge mit einer beiläufigen Handbewegung nach draußen scheuchte.
War das hier irgendein Monstrositätenkabinett oder vielleicht die Kulisse eines Fellini-Films? Jetzt kannte Francesca den Grund für die überdimensionierten Möbel. Die Frau in der dunkelgrünen Uniform war eine Riesin. Sie nahm auf einem großen Sofa Platz und lächelte freundlich, aber ohne Herzlichkeit. »Wie fühlen Sie sich, Dr. Cabral?«
»Was haben Sie mit Gamay gemacht?«
»Ihre Freundin von der NUMA? Die ist in einem behaglichen Quartier untergebracht.«
»Ich will sie sehen.«
Die Frau streckte träge den Arm aus und berührte den Computermonitor. Auf dem Bildschirm wurde Gamay sichtbar, die reglos auf einem Feldbett lag. Francesca hielt den Atem an.
Dann bewegte Gamay sich und wollte aufstehen, doch sie sank kraftlos auf ihr Lager zurück.
»Im Gegensatz zu Ihnen hat sie kein Gegenmittel erhalten.
Die Wirkung wird noch einige Stunden anhalten, dann wacht Ihre Freundin auf.«
»Ich will sie von Angesicht zu Angesicht sehen und mich vergewissern, dass es ihr gut geht.«
»Später vielleicht.« Ihr Tonfall ließ keinen Raum für Diskussionen. Sie berührte den Monitor, und er wurde wieder schwarz.
Francesca schaute sich um. »Wo genau sind wir hier?«
»Das ist nicht von Bedeutung.«
»Warum haben Sie uns hergebracht?«
Die Frau ignorierte die Frage. »Haben Melo und Radko Sie erschreckt?«
»Meinen Sie die zwei Schwachköpfe, die gerade rausgegangen sind?«
Sie lächelte. »Unterschätzen Sie lieber nicht den Einfallsreichtum der beiden. Trotz aller gespielten Tapferkeit sehe ich die Furcht in Ihrem Blick. Gut. So sollte es auch sein. Während der ethnischen Säuberungen in Bosnien haben die Gebrüder Kradzik eigenhändig Hunderte von Menschen umgebracht und den Tod vieler tausend Opfer verschuldet. Sie haben ganze Dörfer ausgelöscht und zahllose Massaker veranlasst. Falls ich nicht gewesen wäre, würden sie jetzt in den Zellen des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag sitzen – und glauben Sie mir, die beiden haben wirklich jedes denkbare Kriegsverbrechen begangen.
Sie verfügen weder über ein Gewissen noch über ein Gefühl der Moral oder Reue. Folter und Mord sind ihre zweite Natur.« Sie hielt inne, um die Schilderung wirken zu lassen. »Verstehen Sie, was ich sagen will?«
»Ja. Dass Sie nicht die geringsten Skrupel haben, Mörder anzuheuern.«
»Genau. Der todbringende Charakter der beiden war sogar ausschlaggebend für meine Entscheidung, sie anzustellen. Genau wie ein Zimmermann sich einen Hammer kaufen würde, um Nägel in ein Brett zu treiben. Die Kradzik-Zwillinge sind mein Hammer.«
»Menschen sind keine Nägel.«
»Manche sind es. Andere nicht, Dr. Cabral.«
Francesca wollte das Thema wechseln. »Woher wissen Sie meinen Namen?«
»Ich kenne und bewundere Ihre Arbeit schon seit vielen Jahren, Dr. Cabral. Meiner Meinung nach übertrifft Ihr Ruf als eine der international führenden Wasserbauingenieurinnen bei weitem Ihre kürzlich erworbene Berühmtheit als weiße Göttin.«
»Sie wissen, wer ich bin,
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