Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)
verschafft.
Für die israelische Bevölkerung wäre eine Zerstörung der Chemiewaffen Assads eine gewaltige Erleichterung. Syrien ohne Giftgas? Das gehörte in den letzten Jahrzehnten für die meisten Israelis ins Reich der Träume. Schutzmasken gegen Angriffe mit Chemiewaffen waren ihre Realität. Sie sind festes Inventar eines israelischen Haushalts. Und das wird allerdings vorläufig so bleiben; denn es wäre nicht das erstemal, dass Assad durch Tricksen und Täuschen Zeit gewinnen will. Das Mißtrauen jedenfalls sitzt tief in Israel. Aber auch das Nachdenken. Ist militärisch drohen und diplomatisch verhandeln vielleicht doch ein Erfolgsrezept? Möglicherweise sogar bei den Atomwaffen, die der Iran angeblich baut? Mit Obama sei kein Krieg gegen den Iran zu machen, hatten Regierungspolitiker und Militärs bis dahin immer gefürchtet. Der russisch-amerikanische Überraschungscoup könnte als Lösungsmodel eventuell übertragbar sein auf den Konflikt zwischen dem Iran und Israel. Auch die USA haben wie Israel oder Saudi Arabien ein großes Interesse, den Iran aus dem arabischen Nahen Osten zu verdrängen. Nur wie kann das geschehen? Bei dieser Frage ist der Westen so ratlos wie planlos. Die Unterstützung der Aufständischen gegen Assad und damit auch gegen die iranischen Mullahs überlässt er lieber Ländern wie Saudi Arabien und Katar, den beiden anderen großen Gegenspielern des Iran.
Durch den Persischen Golf läuft also auch eine der großen Konfliktlinien des Nahen Ostens. Am einen Ufer des Golfs der schiitische Mullah-Staat Iran, am anderen dieses für die Ölversorgung so wichtigen Gewässers die sunnitisch-wahabitischen Länder der arabischen Halbinsel, darunter so wichtige wie Saudi Arabien und Katar.
Katar – ein riesiger Winzling
Gerade Katar, geographisch ein Winzling, in Wirklichkeit dank seiner Gasvorkommen wirtschaftlich ein Riese und politisch manchmal ein hyperaktiver Halbstarker, lohnt, näher betrachtet zu werden.
Salzsümpfe, Geröll- und Kieswüste und ein paar Sanddünen. Das ist Katar streng geographisch gesehen. Eine Halbinsel mit Anschluss an Saudi Arabien, die wie ein aufgerichteter Daumen in den Persischen Golf ragt. Von der Nordspitze Katars sind es nur 200 Kilometer Luftlinie bis zur Küste des ungeliebten Nachbarn Iran.
In Katar begegnen sich fast täglich das Vorgestern und das Übermorgen. Im Jahr 2022 will das Land die modernste Fußballweltmeisterschaft austragen, allerdings nicht mehr wie ursprünglich geplant in vollklimatisierten Stadien bei einer Außentemperatur von 40 Grad, sondern im Winter, wenn die Temperaturen auf erträgliche 17 Grad durchschnittlich sinken. Ob bis dahin allerdings die Benachteiligungen der Frauen aufgehoben sind, ist eher fraglich. Sie dürfen zwar, anders als im benachbarten Saudi Arabien, wählen, haben auf dem Papier die gleichen Rechte wie die katarischen Männer und dürfen auch autofahren. Benachteiligt werden sie aber zum Beispiel im Scheidungs- und Erbrecht.
Ein zweites Beispiel für diese Gegensätzlichkeiten im Land: Das Hauptquartier der US-Streitkräfte im Nahen Osten befindet sich in Katar, genauso aber auch eine Art Botschaft der Taliban. Katar unterhält gute Beziehungen zu Israel, finanziert aber gleichzeitig Israels Erzfeind, die Hamas. Die Skyline der Hauptstadt Doha gehört zu den modernsten der Golfstaaten, fast jeder Katari hat aber auch noch in einer Ecke seines Grundstücks ein Beduinenzelt aufgebaut, in dem er bei Wasserpfeife und süßem Tee mit Freunden die Abendstunden verbringt, wenn die Sonne nicht mehr ganz so brutal auf die Halbinsel brennt.
Der Emir von Katar leistet sich den Nachrichtensender Al Jazeera (zu Deutsch »Die Insel«), der den Fernsehjournalismus im Nahen Osten revolutionierte mit Debattensendungen, scharfen Kommentaren und mutigen Korrespondenten. Allerdings ist Al Jazeera auch ein Sender, der kritiklos die politische Linie seines Finanziers in der arabischen Welt verkündet. Einen Katar-kritischen Bericht sucht man im Programm vergebens. Warum? Diese Frage könnte am besten Katars bekanntester Dichter Mohammed ad-Adschami beantworten, wenn er nicht im Gefängnis säße. Zu einer langen Haftstrafe wurde er verurteilt, weil er es gewagt hatte, dem Emir in einem 22 Zeilen langen Gedicht eine einfache Frage zu stellen. Das Gedicht endet mit den Worten:
»Sie importieren alle Ihre Sachen aus dem Westen. Warum importieren Sie nicht auch Gesetz und Freiheit?«
Wen er damit meint, ist klar – den
Weitere Kostenlose Bücher