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Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)

Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)

Titel: Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Armbruster
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Christen einrichten. Sollten sie Bodentruppen einsetzen, und sei es nur für eine Schutzzone im Norden, dann haben sie es nicht nur mit der syrischen Armee zu tun, sondern auch mit der libanesischen Hisbollah und Kampftruppen aus dem Iran. Sollten die USA sich für Luftangriffe entscheiden, dann gehören möglichweise sogar als Berater eingesetzte russische Soldaten zu ihren Opfern. Auf alle Fälle liefen die USA Gefahr, tiefer und auf Jahre in den syrischen Konflikt hineingezogen zu werden, warnte der US-Generalstabschef Martin Dempsey im Juli 2013 in einem Brief an den Senat. Unter anderem schrieb er in dieser Stellungnahme:
    »Sollten die Institutionen des Regimes in Abwesenheit einer funktionsfähigen Opposition zusammenbrechen, könnten wir unbeabsichtigt Extremisten zur Macht verhelfen oder genau die chemischen Waffen entfesseln, die wir unter Kontrolle bringen wollen.«
    Diese Bedenken galten ab dem 21. August 2013 nicht mehr. Am frühen Morgen diesen Tages entfesselten Assad oder Rebellen die chemischen Waffen tatsächlich, von denen Dempsey so besorgt geschrieben hatte. Um drei Uhr morgens kam der Tod nach Ghuta und nach Daraja, beides Vororte von Damaskus, beide von Rebellen gehalten. Fast geräuschlos kam er: keine Explosionen, keine Warnung, niemand rief Alarm. Die Moscheelautsprecher warnten erst, als es schon zu spät war:
    »Schließt eure Fenster, dichtet eure Türen ab«, rief die Stimme verzweifelt.
    Doch da waren schon viele gestorben, elend verreckt, mit verdrehten Augen. Oder sie lagen im Sterben mit Schaum vor dem Mund, am ganzen Körper zitternd. Zu hunderten.
    Giftgas! Nicht zum ersten Mal war es in diesem Krieg eingesetzt worden, doch noch nie in dieser Menge. Als der Tag kam und das ganze Grauen sichtbar wurde, sprachen die Rebellen bald von über tausend Toten. Über das Internet verbreiteten sie die Schreckensbilder: hunderte Tote in weiße Leichentücher gehüllt, keine erkennbaren äußeren Verletzungen. Kleine Kinder, die mit dem Tod rangen und langsam unter Schmerzen starben. Helfer, die selbst zu Opfern des Giftes werden.
    Kaum eine Nachrichtensendung an diesem Tag, die diese Videos nicht gezeigt hat, zusammen mit der Anklage der Aufständischen: »Assad ist der Verbrecher. Er ist schuld am Tod von 1 300 Menschen.« Der stritt alles ab und zeigte auf die Aufständischen.
    Andere Organisationen wie »Ärzte ohne Grenzen« sprachen von dreihundert bis fünfhundert Toten. Genauere Zahlen zu ermitteln ist schwer, da sie nur aus der Ferne diagnostiziert werden können. Assad lässt niemanden vor Ort ermitteln, außer nach einigen Tagen Chemiewaffenexperten der UNO.
    Nach einer Schrecksekunde von zwei Tagen stimmten auch die USA und ihr engster Verbündeter, Großbritannien, in die Anklage ein. Für sie stand fest, Assad war es, noch ehe die Chemiewaffeninspektoren, die sich wegen eines anderen Giftgasangriffs gerade in Damaskus aufhielten, ihre Arbeit in den beiden Vororten aufnehmen konnten.
    Die UNO gab sich zurückhaltender. Sie sprach nur von »sehr ernsten Konsequenzen«, sollte sich der Verdacht erhärten. Ihre Inspektoren prüften an mehreren Tagen unter großen Schwierigkeiten und Gefahren. Dass chemische Kampfstoffe eingesetzt worden waren, das vermuten auch die Inspektoren. Die wichtigste Frage aber, wer sie eingesetzt hat und wer nicht in Frage kommt, die können und dürfen sie nicht beantworten.
    Ganz ausschließen darf man folgende Erklärung nicht. Die Rebellen haben den Angriff inszeniert, um den Westen zu einem Militärschlag gegen Assad zu provozieren und die USA in den Krieg um Syrien einzubinden. Russland, der Iran und natürlich Assad behaupten dies. Das wäre auch die einfachste und vordergründig plausibelste Erklärung. Doch haben Rebellen tatsächlich für Chemiebomben geeignete Trägersysteme? Sind sie in der Lage, an zwölf verschiedenen Standorten im Großraum Damaskus fast zeitgleich Chemiewaffen einzusetzen? Experten sagen nein. Würden sie es aber tun, wenn sie könnten? Vermutlich ja; denn einige Rebellengruppen haben in den letzten Monaten gezeigt, dass sie genauso menschenverachtend zu handeln bereit sind wie das Regime selbst.
    Ist unter dem Strich also doch Assad der Schuldige? Würde er unter den Augen der gerade in Damaskus angekommenen UN-Experten für Giftgas einen solchen Angriff wagen? Ist er wirklich so rücksichtslos und kaltherzig seinem Volk gegenüber? Die Zerstörungen in Aleppo und in Azaz und die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung in den

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